Neuigkeiten

Arbeitsrecht in Leitsätzen – Teil 4

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2023 – 5 AZR 22/23 

Arbeit auf Abruf – Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit

Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt.


Arbeitsgericht aachen, Urteil vom 02.09.2023 – 8 Ca 2199/22

Dienstrad und „Jobrad“ – Leasingraten über Entgeltumwandlung und der Krankengeldbezug

Beschäftigte müssen die Leasingraten eines Dienstrads, welches im Wege der Entgeltumwandlung finanziert ist, in Zeiträumen ohne Entgeltzahlung, hier im Krankengeldbezug, selbst zahlen.


Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23

Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe – Vertraulichkeitserwartung

Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen
äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise ua. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Pressemitteilung des BAG: https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/kuendigung-wegen-aeusserungen-in-einer-chatgruppe/


BAG, Urteil vom 20.07.2023 – 6 AZR 161/22

Besoldungsanpassung – beamtenrechtliche Voraussetzungen für eine Beförderung

Bewertet der Besoldungsgesetzgeber vor dem Hintergrund einer strukturellen Neuordnung der Besoldung ein Amt höher, folgt hieraus noch keine schematische Anpassung der Besoldung des jeweiligen Beamten. Dieser muss, sofern der Gesetzgeber nichts anderes bestimmt hat, sämtliche beamtenrechtlichen Voraussetzungen für eine Beförderung erfüllen. Das gilt wegen der Verweisung im TV EntgO-L auf das Beamtenrecht auch für im Landesdienst angestellte Lehrkräfte.


LAG M-V, Urteil vom 13.07.2023 – 5 Sa 1/23

Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

1. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht allein deshalb erschüttert, weil diese einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist betrifft.

2. Eine zu Beginn der Erkrankung angetretene rund 10-stündige Bahnfahrt eines als Chefarzt beschäftigten Arbeitnehmers zum Familienwohnsitz, um dort die Hausärztin aufzusuchen, lässt ohne Hinzutreten weiterer Umstände die attestierte Arbeitsunfähigkeit nicht fragwürdig erscheinen.


BAG, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22

Offene Videoüberwachung – Verwertungsverbot

In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.

Quelle: https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/offene-videoueberwachung-verwertungsverbot-2/

Hinweis: Das BAG hat dieses und drei ähnlich gelagerte Verfahren auf die Revision der Beklagten ebenfalls an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.


BAG, Urteil vom 28.06.2023 – 5 AZR 9/23

Vertraglicher Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt

Wenn ein tarifgebundener Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertag den bei ihm geltenden Tarifvertrag mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbezieht, wird damit für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll. Dann bedarf es für die Annahme, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine – konstitutive – Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen tariflichen Regelungen vereinbart werden, besonderer Anhaltspunkte (vgl. BAG 10. Juli 2013 – 10 AZR 898/11 – Rn. 21, 23).


LArbG Nürnberg, Urteil v. 15.06.2023 – 5 Sa 1/23

Kündigungsschreiben – Zugang – übliche Postzustellzeiten – Auslieferungsbeleg

Der ordnungsgemäße Auslieferungsbeleg mit der Unterschrift eines Postbediensteten erbringt den Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten.

VOLLTEXT unter:

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2023-N-24015


LaG Niedersachsen, Urteil vom 29.03.2023, 2 Sa 313/22

Abmahnung; Außerordentliche Kündigung; Dienstwagen; Dienstwagenrichtlinie; Tankkartennutzung

Die private Nutzung einer Tankkarte entgegen den Regelungen einer Dienstwagenrichtlinie kann eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.


LAG MV, Urteil vom 28.03.2023, 5 Sa 128/22

Verdachtskündigung wegen fehlerhafter Arbeitszeiterfassung

Leitsatz

Der dringende Verdacht einer fehlerhaften Arbeitszeiterfassung kann eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sich ein Arbeitnehmer aller Wahrscheinlichkeit nach von zu Hause aus im Zeiterfassungssystem eingebucht hat, die Arbeit aber erst später im Dienstgebäude aufnimmt.(Rn.57)

Orientierungssatz

1. Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen. Der schwerwiegende Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.

2. Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zunächst für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. Der Verdacht muss auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und ggf. zu beweisenden Tatsachen beruhen. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus.

3. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch.


LAG HESSEN, urteil vom 01.10.2022, 10 Sa 898/21

Abgestufte Darlegungslast des Arbeitnehmers bei bestrittener Fortsetzungserkrankung

1. Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen (Anschluss an BAG 31. März 2021 – 5 AZR 197/20 – NZA 2021, 1041).

2. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substantiiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen.

3. Diese prozessuale Obliegenheit berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers, sie ist aber nach der DSGVO und dem BDSG gerechtfertigt. In § 9 Abs. 2 Buchst. f DSGVO wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. Die Erhebung von Gesundheitsdaten ist erforderlich, um im Rahmen eines gerichtlichen Prozesses zu materiell zutreffenden Ergebnissen zu kommen.

Volltext: https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE220002639/part/L

Hinweis: Die Revision des Klägers wurde vom BAG mit Urteil vom 18.01.2023 – 5 AZR 93/22 verworfen.


BAG, urteil vom 20. Juni 2023 – 1 AZR 265/22

Keine Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer

Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine von ihm für das Zustandekommen des Arbeitsvertrags an einen Dritten gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.


LAG MV, Beschluss vom 16.05.2023, 5 TaBVGa 1/23

Einstweiliges Verfügungsverfahren – Fristgerechte Vorlage von Dienstplänen beim Betriebsrat – Verfügungsgrund

Gerät die Arbeitgeberin mit ihrer Verpflichtung aus einer Regelungsabrede, dem Betriebsrat Dienstpläne spätestens bis zum 10. des Vorvormonats vorzulegen, teilweise in Verzug, kann es an einem Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlen, wenn nur ein geringer Teil der Dienstpläne nicht rechtzeitig vorgelegt wird.


LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2023 – 12 SA 18/23

Heimliche Detektivüberwachung – immaterieller Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO

1. Alleine die rechtswidrige und heimliche Überwachung des Arbeitnehmers durch eine von der Arbeitgeberin beauftragte Detektei, bei der zudem Bilder des Arbeitnehmers in verschiedenen Lebenssituationen zur Bewertung seines Gesundheitszustands gefertigt werden, begründet einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

2. Zur Bestimmung der Höhe des Schadensersatzanspruchs für den immateriellen Schaden aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO in einem solchen Fall.


LAG MV, Urteil vom 25.04.2023 – 5 Sa 26/22

Arbeitsvertragliche Ausschlussfrist / Rückzahlung von Annahmeverzugslohn wegen erzielten Zwischenverdienstes

Eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist, nach der Ansprüche verwirken, sofern sie dem Arbeitgeber gegenüber nicht fristgerecht geltend gemacht werden, erfasst dem Wortlaut nach nur Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht solche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer. Eine solche Ausschlussfrist steht einem Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung von Annahmeverzugslohn wegen erzielten Zwischenverdienstes nicht entgegen.


LAG Hamburg, Urteil vom 06.04.2023 – 8 Sa 51/22

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs – Verzugslohn

1. Ein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes kommt nur in Betracht, wenn es mindestens eine konkrete Erwerbsmöglichkeit gab, die dem Arbeitnehmer in dem Zeitraum bekannt war, für den er Verzugslohn verlangt.

2. Der Verweis auf einen für den Arbeitnehmer günstigen Arbeitsmarkt genügt nicht, da es sich nicht um eine feststellungsfähige Tatsache handelt.

3. Der Behauptung des Arbeitgebers, bei bestimmten Arbeitgebern seien für den Arbeitnehmer geeignete Stellen zu besetzen gewesen, genügt nur, wenn festgestellt werden kann, dass dem Arbeitnehmer diese offenen Stellen im fraglichen Zeitraum bekannt gewesen sind.

4. Der Vortrag mindestens einer konkreten Beschäftigungsmöglichkeit ist dem Arbeitgeber auch zumutbar. Er kann dem Arbeitnehmer eine zumutbare Prozessbeschäftigung im eigenen Unternehmen anbieten oder vortragen, er habe den Arbeitnehmer auf konkrete Stellenangebote in anderen Unternehmen hingewiesen.

5. Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitgebers hat sich der Arbeitnehmer gemäß § 138 II ZPO zu erklären, welche Aktivitäten er zur Erlangung der Beschäftigungsmöglichkeit unternommen hat oder weshalb ihm solche Bemühungen oder die Annahme eines Angebots nicht zumutbar gewesen ist.

6. Das durch § 35 SGB I geschützte Sozialgeheimnis, aufgrund dessen der Arbeitgeber von der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter keine Auskunft erlangen kann, welche Vermittlungsvorschläge einem Arbeitnehmer übermittelt worden sind (vgl. BAG v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19 – Tz 41), kann vom Arbeitgeber nicht dadurch umgangen werden, dass er für seine Behauptung, der Arbeitnehmer habe weitere Vermittlungsvorschläge erhalten, Sachbearbeiter der Behörde als Zeugen benennt.


BAG, Urteil vom 29.03.2023 – 5 AZR 255/22

Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden.


LAG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.2023 – 15 Sa 125/22

  1. Die Einstandspflicht des Arbeitgebers für zugesagte Versorgungsleistungen gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG besteht auch dann, wenn der mit der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung betraute externe Versorgungsträger die Versorgungsleistungen wegen Verjährung dauerhaft verweigern kann.
  2. Eine teleologische Reduktion der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG ist in dem Fall, dass sich der externe Versorgungsträger auf die kurze Verjährungsfrist des § 14 VVG berufen kann nicht geboten, da dann die lange Verjährungsfrist des § 18a BetrAVG leer liefe.
  3. Durch die Erhebung einer Klage gegen den externen Versorgungsträger nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 14 VVG verletzt der Versorgungsberechtigten keine gegenüber dem versorgungspflichtigen Arbeitgeber bestehende vertragliche Rücksichtnahmepflicht.
  4. Die kurze Verjährungsfrist für die monatlichen Rentenzahlungen beginnt erst zu laufen, wenn der Versorgungsberechtigte endgültig gehindert ist, seine Ansprüche gegen den externen Versorgungsträger geltend zu machen, wenn nicht der Arbeitgeber neben dem externen Versorgungsträger als Gesamtschuldner haftet.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.03.2023 – 5 Sa 128/22

Dringender Verdacht einer fehlerhaften Arbeitszeiterfassung – Arbeitszeitbetrug, Arbeitszeitmanipulation

Der dringende Verdacht einer fehlerhaften Arbeitszeiterfassung kann eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sich ein Arbeitnehmer aller Wahrscheinlichkeit nach von zu Hause aus im Zeiterfassungssystem eingebucht hat, die Arbeit aber erst später im Dienstgebäude aufnimmt.


LAG Niedersachsen, Urteil vom 08.03.2023, 8 Sa 859/22

Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

  1. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann grds. auch dadurch erschüttert werden, dass der Arbeitnehmer sich im Falle des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend – „postwendend“ – krank meldet bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht. Das gilt insbesondere dann, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist – auch durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – abgedeckt wird.
  2. Meldet sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhält er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang.
  3. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert in der Regel ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.

BAG, Urteil vom 28.02.2023 – 2 AZR 194/22

Außerordentliche Kündigung wegen ernstlicher Bedrohung eines Vorgesetzten

  1. Eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, kommt „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne von § 626 I BGB in Betracht.
  2. Die Verwendung eines „Lügendetektors“ (polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests) ist – auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren – ein völlig ungeeignetes Beweismittel.
  3. Die unzutreffende Mitteilung von Sozialdaten eines Arbeitnehmers bei der Anhörung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber nach § 102 I 2 BetrVG bleibt jedenfalls unschädlich, wenn die Falschangabe nur versehentlich erfolgt, das Gremium ohne das Erfordernis eigener Nachforschungen Kenntnis von den zutreffenden Sozialdaten hat und es durch die abweichende Angabe im Anhörungsschreiben nicht „verunsichert“ wird.

Quelle: NZA 2023, 627 / beck-online


LAG M-V, Urteil vom 31.01.2023, 5 Sa 104/22

Kündigung in der Wartezeit – Maßregelungsverbot – Arbeitsunfähigkeit

1. Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung ist nur dann eine unzulässige Maßregelung, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll.

2. Um eine Sanktionierung des zulässigen Fernbleibens von der Arbeit handelt es sich regelmäßig nicht, wenn die Arbeitgeberin während der Arbeitsunfähigkeit eine dem Arbeitnehmer mögliche und zumutbare Erfüllung von Nebenpflichten fordert, beispielsweise Auskünfte oder die Herausgabe von Arbeitsmitteln, und auf Verstöße mit einer Kündigung reagiert.

Quelle: https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE230045098


BGH, Urteil vom 10.01.2023, Az: 6 StR 133/22

Mal was Strafrechtliches – Untreue durch überhöhtes Arbeitsentgelt für Betriebsratmitgleid

Der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB kann erfüllt sein, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot ( § 78 Satz 2 BetrVG ) einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.


BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20 –

Verjährung von Urlaubsansprüchen

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen Verjährung.

Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Quelle (Pressemitteilung): https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/verjaehrung-von-urlaubsanspruechen-2/


LAG Niedersachsen, Urteil vom 19.12.2022 – 15 Sa 286/22

Kündigung wegen ehrverletzender Äußerungen in einem privaten WhatsApp-Chat

1. Äußerungen in einer privaten Chatgruppe genießen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht, wenn der Äußernde auf die Wahrung der Vertraulichkeit vertrauen durfte.

2. Die Tatsache, dass die Äußerungen durch die Protokollierung des Chatverlaufs schriftlich festgehalten werden, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

3. Bei einer privaten Chatgruppe bestehend aus 7 Personen, die miteinander befreundet sind, können die Mitglieder in der Regel darauf vertrauen, dass Dritten der Chatverlauf nicht offengelegt wird.

Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2022, 42725


ArbeitsGericht Siegburg, urteil von 16.12.2022, 5 Ca 1200/22

„Krankfeiern“ auf White Night Ibiza Party rechtfertigt fristlose Kündigung

Meldet sich eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber für 2 Tage krank und nimmt an einer „Wild Night Ibiza Party“ teil, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Eine fristlose Kündigung kann dann gerechtfertigt sein.


BAG, Urteil vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22

Vermutungswirkung einer Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung / Zustimmung des Integrationsamts kein Ersatz für Durchführung eines (unterlassenen) bEM

Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können. 


LAG Nürnberg, urteil vom 13.12.2022, 7 Sa 168/22

Benachteiligung „flinke Frauenhände“ – Bewerbung – Geschlecht – Entschädigung

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber um eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, „unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände„.

Quelle: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2022-N-44228?hl=true


LAG Hamm, Urteil vom 09.12.2022 – 13 Sa 754/22

Jubiläumzuwendung – Dienstjubiläum

1. Die Formulierung, dass ein Arbeitnehmer „bei einem 35-jährigen Dienstjubiläum“ eine Jubiläumszuwendung erhält, setzt lediglich die Vollendung einer 35-jährigen Beschäftigungszeit voraus und nicht, dass das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus auch noch am Jubiläumstag fortbesteht.

2. Soll der Arbeitnehmer „bei Dienstjubiläum“ einen Jubiläumszuwendung erhalten, ist damit lediglich die Fälligkeit des bei Vollendung der Beschäftigungszeit entstandenen Anspruchs geregelt.

Quelle: BeckRS 2022, 41668, beck-online


BAG, Urteil vom 08.12.2022 – 6 AZR 31/22

Berücksichtigung der Rentennähe bei der sozialen Auswahl

Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien zu erfolgen. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf insoweit nicht berücksichtigt werden.


BAG, Urteil vom 30.11.2022 – 5 AZR 336/21

Auslandseinsatz aufgrund einer Arbeitgeberweisung

Der Arbeitgeber kann aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart worden ist. § 106 GewO begrenzt das Weisungsrecht des Arbeitgebers insoweit nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausübung des Weisungsrechts im Einzelfall unterliegt nach dieser Bestimmung allerdings einer Billigkeitskontrolle.


LAG Nürnberg, urteil vom 29.11.2022, 1 Sa 250/22

Auflösungsantrag des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess
  1. Ohne hinreichende Verdachtsmomente ist der Arbeitgeber nicht befugt, den arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer durch ein Loch in der Hecke auf seinem Privatgrundstück beobachten und filmen zu lassen. Die beobachteten Tatsachen unterliegen im Prozess einem Verwertungsverbot.
  2. Soweit sich aus dem Vortrag des Arbeitnehmers im Prozess eine Pflichtverletzung ergibt, kann dies verwertet werden.
  3. Die eingeräumten Tätigkeiten beim Bau der Gartenmauer rechtfertigen eine außerordentliche Kündigung wegen genesungswidrigen Verhaltens ohne Abmahnung nicht.
  4. Die gegen den Arbeitnehmer zum Ausdruck kommende, durch geänderte und schlechte Arbeitsbedingungen bei der Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs gekennzeichnete feindselige Haltung des Arbeitgebers kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers rechtfertigen.

Quelle: https://www.arbg.bayern.de/nuernberg/entscheidungen/neue/54589/index.php


Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.11.2023, VI R 50/20

Steuerfreiheit der Vorteile des Arbeitnehmers aus der Nutzung eines betrieblichen Telekommunikationsgeräts

Die Erstattung von Telefonkosten für einen vom Arbeitnehmer abgeschlossenen Mobilfunkvertrag durch den Arbeitgeber ist auch dann nach § 3 Nr. 45 EStG steuerfrei, wenn der Arbeitgeber das Mobiltelefon, durch dessen Nutzung die Telefonkosten entstanden sind, von dem Arbeitnehmer zu einem niedrigen, auch unter dem Marktwert liegenden Preis erworben hat und er das Mobiltelefon dem Arbeitnehmer unmittelbar danach wieder zur privaten Nutzung überlässt.


BAG, urteil vom 24.11.2022, 2 AZR 11/22

Schwangerschaft – Beginn des Kündigungsverbots

Das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin.


LAG MV, Urteil vom 16.11.2022, 3 SA 204/21

Arbeitnehmerhaftung für Schäden an einem überlassenen Lkw – Beweislast

Im Falle der Schadensersatzklage eines Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer trägt der Arbeitgeber gemäß § 619a BGB die Darlegungs- und Beweislast auch im Hinblick auf die Schadenshöhe.


LAG MecklenB.-Vorpommern, UrtEIL vOM 26.10.2022 – 3 Sa 79/22

Zur ordnungsgemäßen Personalratsanhörung und Kündigung in der Probezeit

1. Der Arbeitgeber ist bei einer Wartezeitkündigung nicht verpflichtet, dem Personalrat Sozialdaten, die bei vernünftiger Betrachtung weder aus seiner Sicht, noch aus Sicht der Arbeitnehmervertretung für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung eine Rolle spielen können, mitzuteilen.

2. Das Schriftformerfordernis nach §§ 623, 126 BGB setzt keine Leserlichkeit der Unterschrift voraus. Maßgeblich ist die Identifizierbarkeit der Unterschrift.

3. Im Falle der Übertragung der Kündigungsbefugnis auf eine stellvertretende Personalleiterin setzt der Ausschluss der Zurückweisung nach § 174 S. 2 BGB voraus, dass dem Erklärungsempfänger vor Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber die konkrete Person in der Funktion der Stellvertretung bekannt gegeben worden ist.


BVERWG, Urteil vom 13.10.2022 – 2 C 7.21

Pausen in „Bereithaltung“ als Arbeitszeit?

1. Pausenzeiten unter Bereithaltungspflicht stellen nicht automatisch Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG dar.

Es bedarf vielmehr bei Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls der Prüfung, ob die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen (wie EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-107/19 -).

2. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014 über die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit ist mit dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis von Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG nicht zu vereinbaren, weil die Anrechnung unter dem Vorbehalt ihrer Zulassung durch die zuständige Behörde gestellt und von dem Vorliegen besonderer Einsatzlagen abhängig gemacht wird.


LAG Niedersachsen, Beschluss vom 13.10.2022 – 3 TaBV 24/22

Mitbestimmung beim Verbot, während der Arbeitszeit Smartphones zu privaten Zwecken zu nutzen

Das Verbot, während der Arbeitszeit Smartphones zu privaten Zwecken zu nutzen, unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 1 BetrVG, denn nach dem hier überwiegenden Regelungszweck der Weisung wird nicht ein arbeitsbegleitendes Verhalten geregelt. Gegenstand der Maßnahme ist die Festlegung, welche Tätigkeiten die Beschäftigten während ihrer Arbeitszeit zu unterlassen haben. 

Hinweis (Stand 18.02.2023): Die Revision ist beim BAG unter dem dortigen AZ 1 ABR 24/22 anhängig.

Quelle: FD-ArbR 2023, 455678, beck-online


LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss, 13.10.2022, 2 TaBV 1/22

Vorlage von Bewerbungsunterlagen an Betriebsrat – digitales Einsichtsrecht – vorläufige personelle Maßnahme

Leitsatz des Gerichts

Die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen im Sinne von § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG muss nicht in Papierform, sondern kann auch in der Weise erfolgen, dass die Betriebsratsmitglieder, denen Dienst-Laptops zur Verfügung stehen, im Zuge der Information über eine beabsichtigte Einstellung umfassende Einsichtsmöglichkeiten in ein Bewerbermanagement-Tool erhalten.

Orientierungssätze des Gerichts

1. Es kann keinen Unterschied mehr machen, ob dem Betriebsrat sämtliche Unterlagen in Papierform vorgelegt bzw. überlassen werden oder ob die Betriebsratsmitglieder durch “Vorlage” von Laptops in die Lage versetzt werden, sich die entsprechenden Kenntnisse zu verschaffen.

2. Der Auffassung, wonach der Arbeitgeber auch bei der EDV-mäßigen Erfassung aller relevanten Unterlagen und Daten weiterhin ausnahmslos verpflichtet sei, sämtliche (Bewerbungs-) Unterlagen auszudrucken und dem Betriebsrat in Papierform vorzulegen, ist nicht zu folgen.

3. Wenn gewährleistet ist, dass dem Betriebsrat ein uneingeschränktes Zugriffsrecht auf alle digitalisierten Bewerbungsunterlagen und die entsprechend eingepflegten Daten ermöglicht wird, spricht nichts dagegen, den Anspruch des Betriebsrats auf Vorlage von Unterlagen i.S.v. § 99 Abs 1 BetrVG auch durch die Einräumung eines Einsichtsrechts des Betriebsrats in die im System hinterlegten Unterlagen zu ermöglichen.

4. Will der Arbeitgeber die vorläufige Maßnahme erst durchführen, nachdem er bereits nach § 99 Abs 4 BetrVG das Arbeitsgericht angerufen hatte oder gar schon eine erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung vorliegt, ist nach Sinn und Zweck des Gebots der doppelten Antragstellung ausnahmsweise auch ein (nachträglicher) isolierter Antrag auf Feststellung der Dringlichkeit der vorläufigen personellen Maßnahme zulässig.

5. Wenn das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren die fehlende Zustimmung des Betriebsrats (wie vorliegend) ersetzt hat, kann der Feststellungsantrag des Arbeitgebers nur dann abgewiesen werden, wenn die Maßnahme offensichtlich nicht dringend war.

Hinweis (Stand 24.02.2023): Rechtsbeschwerde wurde eingelegt unter dem AZ 1 ABR 28/22


LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22

Ein Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob der Dienstplan geändert wurde

1. Mit der Änderung des Dienstplans eines Mitarbeiters übt der Arbeitgeber diesem gegenüber sein Direktionsrecht aus. Die Änderung muss dem Mitarbeiter zugehen, da es sich bei der Ausübung des Direktionsrechts um eine empfangsbedürftige Gestaltungserklärung handelt.

2. Ein Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er ist auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese erst bei Dienstbeginn zu.

3. Ob der Mitarbeiter verpflichtet ist, eine Dienstplanänderung zu berücksichtigen und den geänderten Dienst anzutreten, wenn ihn die Mitteilung über die Dienstplanänderung tatsächlich erreicht, bedurfte hier keiner Entscheidung.

Schlagworte: Abmahnung – Annahmeverzug – Arbeitszeitkonto – Dienstplan – Dienstplanänderung – Direktionsrecht – Entfernung aus der Personalakte – Freizeit – Recht auf Unerreichbarkeit – Rettungsdienst – Zeitgutschrift – Zugang

Quelle: https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/bssh/document/JURE220036158


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.09.2022 – 21 Sa 2/22

Wettbewerbsverbot eines angestellten Rechtsanwalts

1. Ein angestellter oder eine angestellte Rechtsanwält*in unterliegt in entsprechender Anwendung des § 60 HGB während des Arbeitsverhältnisses einem Wettbewerbsverbot. Das Wettbewerbsverbot bezieht sich sowohl auf die Übernahme von anwaltlichen Mandaten als auch auf die Übernahme von persönlichen Ämtern wie Nachlasspflegschaften, soweit der oder die Arbeitgeber*in solche übernimmt.

2. Verletzt der oder die angestellte Rechtsanwält*in das Wettbewerbsverbot, stehen dem oder der Arbeitgeberin Schadensersatzansprüche entsprechend § 61 HGB zu, soweit er oder sie nicht den Eintritt in die von dem oder der Arbeitnehmer*in wettbewerbswidrig geschlossenen Verträge wählt.

3. Zur Ermöglichung der Durchsetzung dieses Anspruchs steht dem oder der Arbeitgeber*in ein Auskunftsanspruch aus Treu- und Glauben zur Seite, der sich hinsichtlich der Konkurrenztätigkeit im anwaltlichen Bereich auf den Namen der Mandantschaft, die Art der erbrachten Leistungen, die getroffenen Vergütungsvereinbarungen sowie auf noch abrechenbare Leistungen nach Grund, Art und Höhe bezieht. Zudem hat der oder die konkurrierende Rechtsanwält*in die gestellten Rechnungen und die darauf bezogenen Kontobewegungen vorzulegen.

4. Soweit es um anwaltliche Mandate geht, die nicht über die Kanzlei des oder der Arbeitgeber*in zustande gekommen sind, ist die Auskunft in anonymisierter Form (Mandat 1, Mandat 2 usw.) zu erteilen. Die Belege sind entsprechend abzudecken
oder zu schwärzen. Das ergibt sich aus der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 BRAO, die den aus Treu und Glauben folgenden Auskunftsanspruch modifiziert. Die Abgrenzung erfolgt durch Abwägung der Interessen des oder der Arbeitgeber*in mit den Interessen der Mandantschaft des oder der konkurrierenden angestellten Rechtsanwält*in.

5. Die Übernahme einer Nachlasspflegschaft ist für sich genommen keine anwaltliche sondern eine wirtschaftliche Tätigkeit. Der insoweit bestehende Auskunftsanspruch erstreckt sich auf die für diese Tätigkeiten erstellten Abrechnungen und noch nicht abgerechneten Tätigkeiten. Eine Anonymisierung der Auskunft ist nicht geboten, weil die anwaltliche Schweigepflicht nicht gilt und auch die Interessen der Beteiligten nicht überwiegen. Was die Erblasser*innen angeht, beschränkt sich das postmortale, nach dem Ableben bestehende Persönlichkeitsrecht allein auf die Wahrung der Menschenwürde. Ein Schutz von Geheimhaltungsinteressen besteht grundsätzlich nicht. Die Nachlasspflegschaft betrifft bei typisierter Betrachtung auch nicht den persönlichen Bereich der Erb*innen.


BAG, Urteil vom 25.08.2022, 8 AZR 453/21

Karenzentschädigung – Einbeziehung von Leistungen Dritter

Schließt der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Gewährung (beschränkter) Aktienerwerbsrechte nicht mit seinem Arbeitgeber, sondern mit einem Dritten, ggf. einer (Konzern-)Obergesellschaft, sind die dem Arbeitnehmer gewährten Rechte bzw. die nach Wegfall von Beschränkungen zugeteilten Aktien grundsätzlich nicht Teil der „vertragsmäßigen Leistungen“ iSd. § 74 Abs. 2 HGB und deshalb bei der Berechnung der gesetzlichen Mindestkarenzentschädigung nicht zu berücksichtigen.


ArbG Emden, Urteil vom 16.08.2022 – 2 Ca 263/21

Form der Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer?

1. § 5 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) schreibt keine besondere Form für die Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer vor. Geeignet kann auch die Einschaltung eines Boten sein.

2. Die Anzeige hat unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) zu erfolgen, § 5 Abs. 1 Satz 1 i. V. m § 121 BGB, wobei maßgebend für die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht der Zugang der Nachricht beim Arbeitgeber, nicht die Absendung ist. „Unverzüglich“ bedeutet allerdings nicht „sofort“. Das Gesetz gibt dem Arbeitnehmer nur auf, den Arbeitgeber so schnell zu informieren, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.

3. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber zu benachrichtigen. Es genügt aber auch die Information eines vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von Erklärungen autorisierten Mitarbeiters, was sich in großen Unternehmen und Behörden aus dem Organisationsplan ergibt. Soweit das nicht ausdrücklich geregelt ist, muss ein Vorgesetzter benachrichtigt werden.

4. Ist die Arbeitgeberin rechtzeitig und hinreichend im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG über die Abmeldung eines Arbeitnehmers durch einen Boten informiert worden, kann die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer nicht zur Last legen, der Arbeitnehmer hätte sich aber – persönlich – unmittelbar beim Vorgesetzten abmelden müssen. Eine persönliche Abmeldung wird vom Gesetz nicht verlangt.

5. Eine auf einen solchen Vorwurf gestützte Abmahnung ist rechtswidrig. Der Arbeitnehmer kann in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer solchen Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen.

Quelle: Beck-Online / FD-ArbR 2023, 458824


Arbg Berlin, Urteil vom 28.06.2023, 14 Ca 3796/22 / 14 Ca 11727/22

Kein Anspruch auf Vergütung bei ruhender Approbation eines Arztes

Das Arbeitsgericht Berlin hat entschieden, dass ein Arzt während des behördlich angeordneten Ruhens seiner Approbation keinen Anspruch auf Vergütung hat und zur Rückzahlung bereits geleisteter Vergütung verpflichtet ist.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage des Klägers abgewiesen und der von dem beklagten Krankenhaus erhobenen Widerklage auf Rückzahlung der in den letzten sechs Monaten gezahlten Nettovergütungen stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger die von ihm geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht habe und diese aufgrund des Ruhens der Approbation trotz seiner physischen Leistungsfähigkeit und seiner erworbenen fachlichen Qualifikation nicht erbringen habe können. Ferner ging das Arbeitsgericht davon aus, das beklagte Krankenhaus habe die Zahlungen in der Vergangenheit ohne rechtlichen Grund geleistet und sei daher zur Rückforderung berechtigt. Eine Verrechnung mit den in dieser Zeit tatsächlich erbrachten Leistungen des Klägers erfolge nicht, da diese nicht mit einem positiven Wert zu bemessen seien. Dem beklagten Krankenhaus verbleibe im Hinblick auf potentielle Regressforderungen kein zu berücksichtigender Vorteil durch das Tätigwerden des Klägers. Dass der Kläger keine Kenntnis von der Ruhensanordnung gehabt haben will, hielt das Arbeitsgericht für unbeachtlich, da die Unkenntnis jedenfalls auf ein pflichtwidriges Verhalten des Klägers zurückzuführen sei.

Quelle: Pressemitteilung Arbeitsgericht Berlin vom Nr. 24/23 vom 08.08.2023 unter https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1354327.php


BFH, Beschluss vom 21.06.2022 – VI R 20/20

Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten PKW des Arbeitnehmers als Arbeitslohn

1. Ein Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten PKW des Arbeitnehmers ist durch das Arbeitsverhältnis veranlasst und damit Arbeitslohn, wenn dem mit dem Arbeitnehmer abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt.

2. Ist das für die Werbung gezahlte Entgelt als Arbeitslohn zu beurteilen, scheidet eine überwiegend eigenbetriebliche Veranlassung der Zahlung regelmäßig aus.

Quelle (Volltext): https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202210204/


BAG, Urteil vom 01.06.2022 – 7 AZR 151/21

Befristung aufgrund Eigenart der Arbeitsleistung – Tätigkeit als Führungskraft (hier Geschäftsführender Direktor in Klinikum) stellt keinen Befristungsgrund dar

1. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Befristung eines Arbeitsvertrags gerechtfertigt ist, ist grundsätzlich auf die Umstände im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen.

2. Der Sachgrund der Eigenart der Arbeitsleistung im Sinne von § 14 I 2 Nr. 4 TzBfG kann die Befristung eines Arbeitsvertrags jenseits besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen nur rechtfertigen, wenn die Arbeitsleistung Besonderheiten aufweist, aus denen sich ein berechtigtes Interesse der Parteien, insbesondere des Arbeitgebers, ergibt, statt eines unbefristeten nur einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen. Diese besonderen Umstände müssen das Interesse des Arbeitnehmers an der Begründung eines Dauerarbeitsverhältnisses überwiegen.

3. Tätigkeiten als Führungskraft oder in leitenden Positionen rechtfertigen die Befristung des Arbeitsvertrags nicht aufgrund der Eigenart der Arbeitsleistung.

Ein berechtigtes – und das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegendes – Befristungsinteresse des Arbeitgebers folgt grundsätzlich weder aus einer herausgehobenen Position des Arbeitnehmers im Rahmen der Organisation des Unternehmens noch aus daraus folgenden Befugnissen. Auch eine weitgehende Weisungsfreiheit des Arbeitnehmers rechtfertigt kein spezifisches Befristungsinteresse .


LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.07.2022, 10 Sa 1217/21

Abrücken des Arbeitgebers von der zunächst erteilten sogenannten Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel im geänderten Arbeitszeugnis

1. Ein Arbeitnehmer kann unmittelbar aus § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO keinen Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel ableiten. Das Interesse des Arbeitgebers, seine innere Einstellung zu dem Arbeitnehmer sowie seine Gedanken- und Gefühlswelt nicht offenbaren zu müssen, ist dabei höher zu bewerten als das Interesse des Arbeitnehmers an einer Schlussformel. Dies gilt auch für Zeugnisse mit einer weit überdurchschnittlichen Bewertung.

2. Der Arbeitgeber ist an den Inhalt eines erteilten Zeugnisses jedoch grundsätzlich gebunden. Von den in ihm enthaltenen Wissenserklärungen des Arbeitgebers zum Verhalten oder zur Leistung des Arbeitnehmers kann er nur dann abrücken, wenn ihm nachträglich Umstände bekannt werden, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Das ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB). Der Arbeitgeber ist deshalb nicht befugt, vom Arbeitnehmer nicht beanstandete Teile des Zeugnisses grundlos über die zu Recht verlangten Berichtigungen hinaus zu ändern. Dies gilt auch für eine erteilte Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel.

3. Dass das Arbeitsverhältnis bei Erteilung des (berichtigten) Zeugnisses nicht mehr besteht, hindert nicht die Anwendung des Maßregelungsverbotes.

Quelle → LAG NIEDERSACHSEN / VOLLTEXT / URTEIL

Hinweis → Revision anhängig beim BAG zum Aktenzeichen 9 AZR 272/22

Und das BAG urteilt nunmehr wie folgt:

BAG, Versäumnisurteil vom 06.06.2023 – 9 AZR 272/22

1. Weder § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO noch § 241 Abs. 2 BGB verpflichten den Arbeitgeber dazu, dem Arbeitnehmer ein Arbeitszeugnis zu erteilen, das mit einer sog. Dankes- und Wunschformel endet.

2. Verlangt ein Arbeitnehmer zu Recht von dem Arbeitgeber, das ihm erteilte Zeugnis abzuändern, darf der Arbeitgeber dies nur dann zum Anlass nehmen, den Zeugnisinhalt zu Lasten des Arbeitnehmers zu ändern, wenn sachliche Gründe ein Abweichen als angemessen erscheinen lassen. Andernfalls verstößt er gegen das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot. Dies betrifft auch die sog. Dankes- und Wunschformel.


LAG Thüringen, urteil vom 03.05.2022 – 1 Sa 18/21

Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung – Arbeitszeitmanipulation – Raucherpause

1. Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs 1 BGB. Dasselbe gilt für den Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren.

2. Auch die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, ist geeignet eine außerordentliche Kündigung zu begründen.

3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Rahmen der Interessenabwägung dann zu Gunsten eines Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit bei bestimmten Pflichtverletzungen stets und nicht nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls keine kündigungsrechtlichen Konsequenzen gezogen hat oder wenn der Arbeitgeber bei gleichgelagerten Pflichtverletzungen willkürlich einen von mehreren vergleichbar beteiligten Arbeitnehmern herausgreift.

4. Der Arbeitnehmer hat die gleichgelagerten Pflichtverletzungen, die trotz Kenntnis des Arbeitgebers von diesem nicht zur Grundlage kündigungsrechtlicher Konsequenzen gegenüber den übrigen Mitarbeitern gemacht werden konkret darzulegen.

5. Eine Nikotinsucht mag allenfalls die Anzahl der Raucherpausen erklären, nicht jedoch die Verletzung der Pflichten zu deren ordnungsgemäßer Dokumentation.

6. Bei bewusst falschen Angaben hinsichtlich der Arbeitszeit oder bei mehrfachen nicht unerheblichen Falschaufzeichnungen bedarf es in der Regel nicht noch einer vergeblichen Abmahnung.

7. Aus dem Familienstand „geschieden“ ergibt sich nicht zwingend eine erhöhte Schutzbedürftigkeit als aus dem Familienstand „verheiratet“. Entscheidend ist nicht der Familienstand selbst, sondern die aus ihm resultierenden Unterhaltsverpflichtungen.

8. Eine fehlerhafte Angabe zur Betriebszugehörigkeit gegenüber dem Personalrat im Rahmen der Anhörung führt dann nicht zur Kündigung, wenn die Abweichung zwischen der richtigen und der fehlerhaft mitgeteilten Betriebszugehörigkeit für die Ermittlung der Schutzbedürftigkeit des zu kündigenden Arbeitnehmers nicht entscheidend ins Gewicht fällt.

Quelle: https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/JURE220027262


BAG, Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21

Der Arbeitgeber verhandelt nicht entgegen § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB deswegen unfair, weil er den von ihm angebotenen Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und der Arbeitnehmer diesen nur sofort annehmen kann (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB).


LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, 11 Sa 46/21

Sonderzahlung – Weihnachtsgeld – betriebliche Übung – Synallagma – durchgehende Arbeitsunfähigkeit

1. Will der Arbeitgeber mit einer Sonderzahlung andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben, weil diese ja vom gesetzlich geregelten Synallagma abweicht (Stichwort: Positive Bestätigung).

2. Teilt der Arbeitgeber nicht mit, unter welchen Voraussetzungen die Sonderzahlung (Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld) geleistet wird, ist anzunehmen, dass es sich um eine im Synallagma stehende Leistung handelt.

Das führt jedoch dazu, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht berücksichtigt werden können, wenn diesbezüglich eine Zurechnung zum Arbeitgeberrisiko durch Gesetz oder Kollektivvereinbarung nicht erfolgt ist.


LAG MV, Urteil vom 25.01.2022 – 2 Sa 127/21

Eingruppierung – vorübergehend übertragene Tätigkeit

Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Vereinbarungen ausdrücklich zulässt.


LAG MV, Urteil vom 18.01.2022 – 2 Sa 85/21

Außerordentliche Kündigung – Verdachtskündigung – Tatkündigung – Kenntnis von den Kündigungsgründen

1. Die Verdachtskündigung setzt eine Anhörung im Sinne einer Konfrontation mit den einzelnen Verdachtsmomenten voraus, damit der verdächtige Arbeitnehmer Gelegenheit erhält, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu beziehen und diese ggf. auszuräumen.

2. Ausnahmsweise muss sich ein Arbeitgeber im Rahmen der Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB Kenntnisse anderer Personen für den Fristbeginn zurechnen lassen, wenn diese Personen eine herausgehobene Position oder Funktion innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, den Sachverhalt umfassend zu klären. Zudem muss die verspätete Kenntniserlangung durch den Arbeitgeber auf einer unsachgemäßen Organisation beruhen.


LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022, 4 Sa 315/21

Zugang einer E-Mail – Darlegungs- und Beweislast

Den Absender einer E-Mail trifft gemäß § 130 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen ist. Ihm kommt nicht dadurch die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zugute, dass er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhält.

ArbG Mannheim, Urteil vom 20.05.2021 – 14 Ca 135/20

Auswertung von WhatsApp-Nachrichten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber / Schmerzensgeldanspruch (und auch Mitverschulden)

1.Die Auswertung von WhatsApp-Nachrichten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber auf einem sowohl dienstlich als auch privat genutzten Firmenhandy kann einen Verstoß gegen § 26 BDSG darstellen, wenn sie nicht zur Wahrung legitimer Interessen des Arbeitgebers, insb. zur Aufklärung des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, erforderlich und verhältnismäßig ist.

2.Ein solcher Verstoß zieht ein Sachvortragsverwertungsverbot bzgl. sämtlicher von der Arbeitgeberseite im Prozess vorgetragenen Ergebnisse der Auswertung nach sich.

Aus den Gründen (zum Schadenersatzanspruch und zum Mitverschulden):

Hinsichtlich der Höhe des Schadens kommt es an auf die Intensität der Rechtsverletzung und es ist auch ein etwaiges Mitverschulden des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. auch LAG Köln v. 14.9.2020 – 2 Sa 358/20 [= ZD 2021, 168]).

Hierbei hat die Kammer berücksichtigt, dass einerseits das Persönlichkeitsrecht des Kl. durch die Auswertung und Zitierung der auch privaten Kommunikation verletzt wurde. Andererseits hat die Bekl. in den Prozess nur eingeführt, WhatsApp-Kommunikation mit Bezug zum Arbeitsverhältnis. Auch hat die Kammer ein Mitverschulden des Kl. berücksichtigt, der ausweislich der E-Mail-Nachrichten in nicht berechtigter Weise Informationen über die Bekl. an Dritte weitergegeben hat. Angesichts dessen erscheint ein Schadensersatz in der Höhe von einer Bruttomonatsvergütung (hier waren es dann 7.500 EUR netto) als angemessen.

Quelle: ZD 2022, 397



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