Neuigkeiten

Arbeitsrecht in Leitsätzen – Teil 3


BAG, Beschluss vom 19.10.2022 – 7 ABR 27/21

Fortbestand der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten in einem Betrieb unter fünf

Die Schwerbehindertenvertretung ist die Interessenvertretung der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten. Sie wird nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX u.a. in Betrieben mit wenigstens fünf – nicht nur vorübergehend beschäftigten – schwerbehinderten Menschen für eine Amtszeit von regelmäßig vier Jahren gewählt.

Sinkt die Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter im Betrieb unter den Schwellenwert von fünf, ist das Amt der Schwerbehindertenvertretung nicht vorzeitig beendet.


BVerwG, Urteil vom 13.10.20222 C 24.21

Beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch wegen Zuvielarbeit bei als Arbeitszeit zu qualifizierenden Pausenzeiten („Pausen in Bereithaltung“)

Ein Beamter hat Anspruch auf Freizeitausgleich, soweit die ihm gewährten Pausenzeiten in „Bereithaltung“ als Arbeitszeit zu qualifizieren sind und hieraus eine dienstliche Inanspruchnahme über die durchschnittlich zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus resultiert. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Hintergrund und Entscheidungsgründe (aus Pressemitteilung Nr. 63/2022 vom 13.10.2022):

Für die insoweit vorzunehmende Abgrenzung ist maßgeblich, ob die im Rahmen einer Pausenzeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie die Möglichkeiten, sich zu entspannen und sich Tätigkeiten nach Wahl zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beschränken. Solche objektiv ganz erheblichen Beschränkungen liegen vor, wenn ein Bundespolizeibeamter anlässlich von Maßnahmen der präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr (im vorliegenden Fall Durchsuchungsmaßnahmen und die Vollstreckung eines Haftbefehls) seine ständige Erreichbarkeit verbunden mit der Pflicht zur sofortigen Dienstaufnahme während der ihm gewährten Pausenzeiten sicherstellen muss. In diesem Fall sind die Pausenzeiten als Arbeitszeit zu qualifizieren. Auf den Umfang der tatsächlichen dienstlichen Inanspruchnahme kommt es nicht an. Die Verpflichtung zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffe und Dienstfahrzeug genügen für sich betrachtet jedoch nicht.


EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-518/29 / C-727/20

Kein Verfall von Urlaub bei langandauernder Erkrankung

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRCh

sind wie folgt auszulegen:

Sie stehen einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, entweder nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder später auch dann erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben.

Quelle (Volltext): https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=266102&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1


BAG, Urteil vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21

Einführung elektronischer Zeiterfassung – Initiativrecht des Betriebsrats

Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen.

Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG* ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

Quelle: https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/einfuehrung-elektronischer-zeiterfassung-initiativrecht-des-betriebsrats/


BAG, Beschluss vom 16.08.2022 – 9 AZR 76/22 (A)

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht:

Sind Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahingehend auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen Regelung oder Praxis entgegenstehen,

der zufolge ein vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter bezahlter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde wegen Ansteckungsverdachts angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nicht nachzugewähren ist, wobei beim Arbeitnehmer während der Quarantäne keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht.

Quelle: https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/behoerdlich-angeordnete-quarantaene-waehrend-des-urlaubs/


LAG MV, Urteil vom 26.07.2022 – 5 Sa 284/21

Sittenwidrige Arbeitsvergütung – Tariflohn – Wirtschaftsgebiet

1. Von der Üblichkeit der Tarifvergütung kann ohne weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen.

2. Wirtschaftsgebiet ist bei ortsgebunden tätigen Unternehmen regelmäßig der räumliche Bereich, in dem die Betriebsstätte liegt und aus dem der wesentliche Teil des Personals stammt.

3. Der räumliche Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages kann über ein bestimmtes Wirtschaftsgebiet hinausgehen.

Quelle: https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE220031861


BAG, Urteil vom 20.07.2022 – 10 AZR 220/20

Vergütung und Zuschläge für die Arbeit am 24. Dezember – 24. Dezember ist kein gesetzlicher Feiertag

Gegenstand:

Manteltarifvertrag zwischen ver.di und Unternehmen der CineStar-Gruppe vom 27. Januar 2017 (MTV) und Entgelttarifvertrag zwischen ver.di und Unternehmen der CineStar-Gruppe vom 27. Januar 2017 (ETV)

1. Tarifvertragliche Regelungen über Feiertagszuschläge knüpfen regelmäßig an die gesetzlichen Feiertage nach dem Recht des Landes an, in dem der Beschäftigungsort liegt. Dies schließt abweichende Regelungen nicht aus; sie müssen aber deutlich erkennbar sein. Die Tarifvertragsparteien des MTV haben dem 24. Dezember als grundsätzlich spielfreiem Tag im Hinblick auf die tariflichen Feiertagszuschläge eine besondere Bedeutung zugemessen. Dem steht nicht entgegen, dass der 24. Dezember kein gesetzlicher Feiertag ist.

2. § 5 Nr. 1 Satz 3 MTV sieht für die Arbeit am 24. Dezember zwei Zuschläge in Form einer durchschnittlichen Tagesvergütung und eines Zuschlags iHv. 100% vor, die neben das Stundenentgelt und eine ggf. zustehende Stellenzulage treten.


LAG Rheinland-pfalz, Urteil vom 05.07.2022, 6 Sa 54/22

Unterlassung – Offenlegung personenbezogener Daten durch den früheren Arbeitgeber gegenüber einem neuen Arbeitgeber – Recht auf informatorische Selbstbestimmung

Der Arbeitgeber ist aus dem Gesichtspunkt der nachwirkenden Fürsorgepflicht gehalten, über die Erteilung eines Zeugnisses hinaus im Interesse des ausgeschiedenen Arbeitnehmers Auskünfte über diesen an solche Personen zu erteilen, mit denen der Arbeitnehmer in Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages steht; solche Auskünfte darf der Arbeitgeber auch gegen den Willen des Arbeitnehmers erteilen; er kann grundsätzlich nicht gehindert werden, andere Arbeitgeber bei der Wahrung ihrer Belange zu unterstützen (BAG 18. Dezember 1984 – 3 AZR 389/83 – Rn. 11, aaO). Die Auskünfte, zu denen der Arbeitgeber berechtigt ist, betreffen nur Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses (BAG 18. Dezember 1984 – 3 AZR 389/83 – Rn. 11, aaO).

ABER:

Bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht hat der Arbeitnehmer entsprechend §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1, 2 GG einen Anspruch auf Unterlassung weiterer Eingriffe (vgl. BAG 26. August 1997 – 9 AZR 61/96 – Rn. 16, BAG 04. April 1990 – 5 AZR 299/89 – Rn. 16). Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts liegt vor bei einem Eingriff in die Individualsphäre, zu der auch das berufliche Wirken des Betroffenen gehört (BAG 18. Dezember 1984 -3 AZR 389/83 – Rn. 10, zitiert nach juris). Das durch Art. 1 und 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer nicht nur vor einer zu weitgehenden Kontrolle und Ausforschung seiner Persönlichkeit, sondern es umfasst ebenfalls den Schutz vor der Offenlegung personenbezogener Daten, und zwar auch solcher, von denen der Arbeitgeber in zulässiger Weise Kenntnis erlangt hat (BAG 04. April 1990 – 5 AZR 299/89 – Rn. 17, aaO). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BAG 04. April 1990 – 5 AZR 299/89 – Rn. 14, aaO). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist jedoch nicht schrankenlos. Wo die Grenze eines unantastbaren Bereichs privater Lebens- und Informationsgestaltung endet, bestimmt sich im Einzelfall nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BAG 04. April 1990 – 5 AZR 299/89 – Rn. 17, aaO). Danach können Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht durch die Wahrnehmung überwiegend schutzwürdigender Interessen gerechtfertigt sein. Insoweit bedarf es im Einzelfall einer Güter- und Interessenabwägung um zu klären, ob dem Persönlichkeitsrecht des einen gleichwertige und schutzwürdige Interessen anderer gegenüberstehen (vgl. BAG 04. April 1990 – 5 AZR 299/89 – Rn. 18, aaO). 

Quelle: https://www.landesrecht.rlp.de/bsrp/document/JURE220031653


LAG MV, Urteil vom 21.06.2022 – 5 Sa 245/21

Außerordentliche Kündigung wegen Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs – Erforderlichkeit einer Abmahnung

Hat ein Arbeitgeber in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet und nutzt sodann ein Arbeitnehmer das Fahrzeug ohne Erlaubnis mangels Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zum Vorgesetzten, kann es vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich sein, diese Pflichtverletzung abzumahnen.


LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.06.2022 – 5 Sa 259/21

Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist – Sonderkündigungsschutz nach Arbeitsvertragsrichtlinien Diakonie – dauernde Leistungsunfähigkeit

1. Eine mit Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

2. Sofern eine dauernde Leistungsunfähigkeit nicht medizinisch festgestellt ist, beispielsweise als Folge eines schweren Unfalls, bedarf es einer entsprechenden Negativprognose, die sich wiederum aus einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergeben kann. Der Rückschluss von einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauernde Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war.

3. Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist anhand der zum Zeitpunkt des Zugangs gegebenen objektiven Verhältnisse zu beurteilen. Das gilt auch im Falle einer Kündigung, die auf eine Langzeiterkrankung gestützt wird. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch bis zum Ende der mündlichen Verhandlung kann nicht zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet werden.

Quelle: https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE220031744


BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 366/21

Coronabedingte Betriebsschließung und Betriebsrisiko

Die im Rahmen eines allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ist kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos.


LAG MV, Urteil vom 31.05.2022, 5 Sa 258/21

Eingruppierung einer Servicekraft in einer Cafeteria

Die Tätigkeit einer Servicekraft in der Cafeteria einer Klinik stellt, selbst wenn die Beschäftigte über eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens drei Jahren (z. B. Restaurantfachfrau) verfügt, nicht allein deshalb eine Beschäftigung in diesem oder einem diesem verwandten Beruf dar.

In ihrem Ausbildungsberuf beschäftigt ist diejenige Mitarbeiterin, die regelmäßig die wesentlichen zu diesem Berufsbild gehörenden Tätigkeiten auszuüben hat. Es reicht nicht aus, dass die Beschäftigte einzelne Tätigkeiten aus diesem Berufsbild wahrnimmt und es auf begrenzten Teilgebieten zu Überschneidungen kommt.

Die „eingehende Einarbeitung“ unterscheidet sich von der „Einarbeitung“ durch den Umfang der zur Erledigung der Aufgaben benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten. Von einer eingehenden Einarbeitung ist auszugehen, wenn eine nicht oder nicht einschlägig ausgebildete Kraft sich die für die Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten üblicherweise nicht innerhalb weniger Wochen aneignen kann, sondern eine deutlich längere Einarbeitungsphase benötigt.

Quelle: https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE220030164


LAG Düsseldorf, Urteil vom 17.05.2022, 14 Sa 825/21

Personenbedingte Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen – Referenzzeitraum – 6/2-Schichtsystem – Betriebliches Eingliederungsmanagement – Einvernehmlicher Abschluss

Ein Referenzzeitraum von zwei Jahren vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen kann eine hinreichende Basis der negativen Prognose zukünftiger Arbeitsunfähigkeiten sein.

Zur Feststellung zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich: Bei Anwendung eines 6/2-Schichtsystems müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten insgesamt 31,5 Arbeitstage jährlich übersteigen.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll (BAG 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 29). Wie der Arbeitnehmer von vornherein die Zustimmung zur Durchführung eines bEM nicht erteilen kann, sodass es überhaupt nicht begonnen wird, so kann das bEM einvernehmlich beendet werden, und zwar unabhängig davon, wie weit es vorangebracht wurde. Es kommt dann darauf an, ob der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es beendet oder fortgesetzt werden sollte.

Quelle für VOLLTEXT:

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_14_Sa_825_21_Urteil_20220517.html


LaG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.07.2022, 16 Sa 1750/21

Kündigung trotz Elternzeit

Die Arbeitnehmerin hat sich gegen eine von ihrer Arbeitgeberin während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene Änderungskündigung gewandt. Das hierfür zuständige Integrationsamt hatte zuvor dieser Kündigung während der Elternzeit zugestimmt.

Bei einer Änderungskündigung handelt es sich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen. Durch die hier angebotene Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Die Arbeitnehmerin hat das Änderungsangebot der Arbeitgeberin abgelehnt und sich gegen die Kündigung gewandt.

Das Arbeitsgericht Potsdam hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen, weshalb eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr möglich gewesen sei. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamtes der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen anbieten dürfen. Da die Klägerin das Änderungsangebot nicht angenommen hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 15/22 vom 06.07.2022 des LAG Berlin-Brandenburg


LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.05.2022, 2 Sa 280/21

Angemessenheit von Ausbildungsvergütung (hier: für Kraftfahrzeugmechatroniker)

Eine vereinbarte Ausbildungsvergütung die die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20% unterschreitet, ist in der Regel nicht angemessen im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG a.F. (so auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 07.10.2020 – 6 Sa 39/20).

Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2022, 15855


LAG Köln, Beschluss vom 06.05.2022, 9 Ta 18/22

Zur Arbeitnehmereigenschaft eines „freiberuflich“ angestellten Praxisvertreters, der selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen sollte (hier bejaht).

Aus den Gründen:

Die Rechtsprechung hat vielmehr im Rahmen zahlreicher Einzelfallentscheidungen Kriterien zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit im Gesundheitswesen herausgearbeitet. Wichtige Gesichtspunkte sind danach: die freie Zeiteinteilung, der Einsatz eigener Betriebsmittel, eigene Angestellte, das Tragen von unternehmerischem Risiko, sowie die Möglichkeit, aus den erzielten Honoraren eine eigene Altersversorgung aufzubauen (Halbe, Deutsches Ärzteblatt 2021, 1376, 1377).

Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen war der Kläger nicht berechtigt, seine Arbeitszeiten frei einzuteilen. Sie waren ihm detailliert einschließlich der Lage und Dauer der Pausen für insgesamt vier Arbeitstage/Woche vorgegeben.

Von Bedeutung ist zudem, dass der Kläger aufgrund der vertraglich festgelegten Arbeitszeiten faktisch nicht die Möglichkeit hatte, in beachtlichem Umfang für weitere Auftraggeber tätig zu sein und dementsprechend werbend am Markt aufzutreten.

Dass der Kläger innerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten aufgrund der Abwesenheit der Beklagten seinen medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen gestalten konnte, im Wesentlichen keinen Einzelanweisungen der Beklagten unterlag und IGEL-Verträge und -Rezepte nach eigener Entscheidung ausgegeben bzw. abgeschlossen hatte, liegt an der Eigenart der ärztlichen Praxisvertretung und spricht nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.

Von Bedeutung ist hingegen, dass der Kläger über keine eigenen Betriebsmittel verfügte, sondern die Einrichtungen und Betriebsmittel der Praxis nutzte.

Dass die Parteien keine Regelungen zu Entgeltfortzahlung und Urlaub getroffen haben, ändert an der Unselbstständigkeit der klägerischen Tätigkeit nichts. Denn entsprechende Ansprüche wären die Rechtsfolge einer unselbstständigen Beschäftigung als Arbeitnehmer und könnten nicht umgekehrt den Status des Klägers als Freiberufler begründen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 R 1/21 R –, Rn. 28 – 29, juris).

Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kläger eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abschließen musste.

Entscheidend für ein Arbeitsverhältnis spricht schließlich, dass der Kläger kein nennenswertes unternehmerisches Risiko trug, wie es für Selbstständige typisch ist…

Quelle (Volltext unter Justiz NRW): ttps://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2022/9_Ta_18_22_Beschluss_20220506.html


BAG, Urteil vom 31.3.2022 – 8 AZR 238/21

Benachteiligung wegen des Alters einer erfolglosen Bewerbung – Ablehnung von Bewerbern/Bewerberinnen, die das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente bereits vollendet haben – Rechtfertigung nach § 10 AGG – Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens

1. Hat eine Bewerbung keinen Erfolg, weil der externe Bewerber die sog. Regelaltersgrenze überschritten hat, liegt hierin eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i. S. v. § 3 I AGG. Dabei bleibt ausdrücklich offen, ob diese Benachteiligung ausnahmsweise nach § 10 zulässig ist; explizit ausgeschlossen ist dies nicht.

2. Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 II AGG kann durchgreifendem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein.

Quelle: Beck-Verlag / ArbRAktuell 2022, 459


BAG, Urteil vom 30.03.2022, 10 AZR 419/19

Beteiligung an Privatliquidationserlösen – nachgeordnete Ärzte – konkludenter Vertragsschluss – Vertrag zugunsten Dritter

1. Ist ein nachgeordneter Arzt aufgrund seines mit dem Krankenhausträger geschlossenen Arbeitsvertrags verpflichtet, an den Behandlungen von Privatpatienten des leitenden Arztes mitzuwirken, besteht zwischen leitendem und nachgeordnetem Arzt regelmäßig keine unmittelbare vertragliche Beziehung, aus der sich Ansprüche wegen dessen Mitwirkung ergeben. Sie kann aber durch gesonderte Vereinbarung begründet werden.

2. Ein Anspruch des nachgeordneten Arztes, an den Privatliquidationserlösen des leitenden Arztes beteiligt zu werden, kann sich aus einer zwischen leitendem und nachgeordnetem Arzt getroffenen Vereinbarung oder aus dem zwischen leitenden Arzt und dem Krankenhausträger geschlossenen Vertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter ergeben.

Quelle: Beck-Verlag / FD-ArbR 2022, 450455


ArbG Heilbronn, Urteil vom 23.03.2022 – 2 Ca 14/22

Außerordentliche Kündigung – beharrliche Arbeitsverweigerung – Personalgespräch 

Eine beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Arbeitnehmer weigert, zu einem durch den Arbeitgeber angeordneten einmaligen Personalgespräch im Betrieb zu erscheinen, denn ein solches Gespräch kann im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB der Erhaltung und Verwirklichung der im Arbeitsverhältnis bestehenden Hauptleistungspflichten dienen.

Die Einladung zu einem solchen Gespräch ist grundsätzlich vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Satz 1 GewO gedeckt. Dem Arbeitgeber kommt diesbezüglich eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Einschätzungsprärogative zu.


LAG MV, Urteil vom 05.04.2022, 5 Sa 282/21

Erteilung ordnungsgemäßer Lohnabrechnungen

Im Falle einer Nachzahlung von Arbeitsentgelt kann ein Arbeitnehmer nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht die Berichtigung der bereits erteilten Abrechnungen beanspruchen, sondern nur eine eigene Abrechnung über die Nachzahlung.

Aus der Abrechnung muss erkennbar sein, wie sich das gezahlte Arbeitsentgelt zusammensetzt. Ausschlaggebend ist dabei, welche Gehaltsbestandteile der Arbeitgeber tatsächlich zugrunde gelegt hat. Diese Gehaltsbestandteile sind korrekt auszuweisen. Gehaltsbestandteile dürfen weder zu einer einzigen Summe zusammengefasst noch darf das Gehalt fiktiv in tatsächlich nicht geleistete Bestandteile aufgespalten werden.


LAG MV, Beschluss vom 29.03.2022, 5 TaBV 12/21

Mitbestimmung – Betriebsrat – Raucherpause – Arbeitsverhalten – Ordnungsverhalten

Leitsatz

Die Anordnung einer Arbeitgeberin, dass Rauchen nur in den festgelegten Pausen gestattet ist, unterliegt regelmäßig nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da die Anordnung die Einhaltung der Arbeitszeit sicherstellen soll und somit nicht das Ordnungsverhalten, sondern das Arbeitsverhalten betrifft. (Rn.29) (Rn.36)

Orientierungssatz

Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren – sog. Arbeitsverhalten – sind nicht mitbestimmungspflichtig. Dies sind solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird.(Rn.34)

Quelle (Volltext): https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE220025534


LAG MV, Urteil vom 29.03.2022, 2 Sa 2/21

Öffentlicher Dienst – Beschäftigung – Wochenenddienste – Gleichstellung – Schwerbehinderung – behindertengerechter Einsatz – unzulässige Mehrarbeit – Globalantrag

1. § 164 Abs. 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber nicht, wegen der Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den er nach seinem Organisationskonzept nicht benötigt.

2. Soll gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX eine generelle Herausnahme aus der Einteilung zum Wochenenddienst erfolgen, ist Voraussetzung, dass die Behinderung des Arbeitnehmers eine Arbeitszeit erfordert, die so gestaltet ist, dass Wochenenddienste ausgeschlossen sind.

3. Beansprucht ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, nicht mehr zu Wochenenddiensten herangezogen zu werden, muss er darlegen und ggf. beweisen, die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen zu können. Dazu obliegt es ihm vorzutragen, inwieweit sein Leistungsvermögen durch die Auswirkungen der Art und Schwere seiner Behinderung so eingeschränkt ist, dass er die ihm übertragene Sonderform der Arbeit nicht mehr leisten kann.

4. Die Anordnung von Wochenenddiensten ist grundsätzlich vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst. Dieses wird durch die Vorschrift des § 207 SGB IX begrenzt. Schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte werden danach auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt und dürfen von ihrem Arbeitgeber nicht zu einer solchen herangezogen werden.

5. Mehrarbeit im Sinne von § 207 SGB IX liegt vor, wenn die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden oder die Verteilung der Arbeitszeit auf 6 Tage in der Woche überschritten wird.

6. Ein eine Vielzahl von Fallgestaltungen umfassender Antrag (Globalantrag) ist als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn auch Sachverhalte fallen, in denen das Antragsbegehren erfolglos ist.

Quelle → LAG MV / 29.03.2022 / 2 Sa 2/21


LAG MV, Urteil vom 15.03.2022, 5 Sa 122/21

Außerordentliche Kündigung – Kündigungserklärungsfrist – Elternzeit

Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt, wenn der Arbeitgeber im Falle von Mutterschutz oder Elternzeit die behördliche Zulässigkeitserklärung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist beantragt hat, gegen die Versagung der Zulässigkeitserklärung rechtzeitig Widerspruch bzw. Klage erhoben hat und sodann die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Wegfall des Zustimmungserfordernisses (Ende des Mutterschutzes oder der Elternzeit) ausspricht.

Aus den Urteilsgründen:

Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Nach dieser Vorschrift kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

Hängt der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung von einer Zulässigkeitserklärung nach § 17 Abs. 2 MuSchG oder § 18 Abs. 1 BEEG ab, ist die Kündigungserklärungsfrist eingehalten, wenn innerhalb der Zwei-Wochen-Frist der entsprechende Antrag gestellt worden ist und die Kündigung nach Zustellung des die Kündigung für zulässig erklärenden Bescheides unverzüglich ausgesprochen wird (ErfK/Niemann, 22. Aufl. 2022, § 626 BGB, Rn. 227). Damit wird weder die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB umgangen, wie die Klägerin meint, noch der Sonderkündigungsschutz in der Schwangerschaft bzw. Elternzeit. Vielmehr sind auf diese Weise beide Regelungen in Einklang zu bringen. Es sind sowohl der Sinn und Zweck der Kündigungserklärungsfrist gewahrt, zeitnah Rechtssicherheit zu schaffen, als auch der Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes, während der Schwangerschaft oder Elternzeit vorübergehend einen erhöhten Bestandsschutz zu gewährleisten.

Der behördlichen Zulässigkeitserklärung steht der Wegfall des Zustimmungserfordernisses gleich. Ab Kenntnis der zum Wegfall des Zustimmungserfordernisses führenden Ereignisse ist die Kündigung unverzüglich auszusprechen, d. h. in der Regel am ersten folgenden Arbeitstag (LAG Köln, Urteil vom 21. Januar 2000 – 11 Sa 1195/99 – Rn. 11, juris = NZA-RR 2001, 303; ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, § 7 MuSchG, Rn. 16; Brose/Weth/Volk, Mutterschutzgesetz und Bundeserziehungsgeldgesetz, 9. Auflage 2020, § 17 MuSchG, Rn. 253).


LAG Berlin-Brandenburg vom 16.03.2022, 23 Sa 1133/21

Keine wirksame Befristung eines Arbeitsvertrages allein mit Scan der Unterschrift

Für eine wirksame Befristung eines Arbeitsvertrages reicht eine eingescannte Unterschrift nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitsvertrag nur für einige wenige Tage geschlossen worden ist.

Die vereinbarte Befristung sei mangels Einhaltung der gemäß § 14 Absatz 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz zwingend vorgeschriebenen Schriftform unwirksam. Schriftform im Sinne des § 126 Bürgerliches Gesetzbuch erfordere eine eigenhändige Unterschrift oder eine qualifizierte elektronische Signatur. Der vorliegende Scan einer Unterschrift genüge diesen Anforderungen nicht. Bei einer mechanischen Vervielfältigung der Unterschrift, auch durch datenmäßige Vervielfältigung durch Computereinblendung in Form eines Scan liege keine Eigenhändigkeit vor. Den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur genüge ein Scan ebenfalls nicht. Eine etwaige spätere eigenhändige Unterzeichnung des befristeten Vertrages auch durch den Personalverleiher führe nicht zur Wirksamkeit der Befristung. Vielmehr müsse die eigenhändig unterzeichnete Befristungsabrede bei der Klägerin als Erklärungsempfängerin vor Vertragsbeginn vorliegen. Dass die Klägerin diese Praxis in der Vergangenheit hingenommen habe, stehe der jetzt innerhalb der dreiwöchigen Frist nach vorgesehenem Befristungsablauf gemäß § 17 Teilzeit- und Befristungsgesetz erhobenen Klage nicht entgegen. Die Klägerin verhalte sich mit ihrer Klage nicht treuwidrig, vielmehr sei ein etwaiges arbeitgeberseitiges Vertrauen in eine solche nicht rechtskonforme Praxis nicht schützenswert. Aufgrund der Unwirksamkeit der Befristungsabrede bestehe das Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung durch die zwischenzeitlich ausgesprochene Kündigung fort.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.

Quelle → Pressemitteilung AG Berlin Nr. 07/22 vom 13.04.2022


Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 23.03.2022 , 18 Ca 6830/21

Fristlose Kündigung bei Vorlage eines gefälschten Impfpasses

1. Die Arbeitgeberin kann berechtigt sein, in Erfüllung der Verpflichtung zur Kontrolle der Einhaltung von gesetzlichen Infektionsschutzregeln die ihr durch eine Arbeitnehmerin übermittelten Impfdaten mit öffentlich zugänglichen Informationen über Verfügbarkeiten von Impf-Chargen abzugleichen, um einen etwaigen Verstoß gegen die gesetzlichen Regeln über den Zutritt zum Betrieb aufzudecken.

2. Die Vorlage eines unrichtigen Impfnachweises („gefälschter Impfausweis“) kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.


BAG, URTEIL vom 24.02.2022, 6 AZR 251/21

Bereitschaftsdienst bei Hausnotruf / Bereitschaftsdienst vs. („nur“) Rufbereitschaft

Eine Anordnung von Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn ein Dienstgeber im Rahmen eines Hausnotrufdienstes festlegt, dass der betreffende Mitarbeiter bei einer Anfahrt von bis zu 30 Minuten spätestens 35 Minuten nach Auftragserteilung durch die Hausnotrufzentrale bei dem Notrufenden eintreffen und innerhalb dieser Zeitvorgabe dessen Wohnungsschlüssel aus einem Schlüsselschrank der Dienststelle holen muss. Eine solche organisatorische Festlegung schränkt den Mitarbeiter in der Wahl seines Aufenthaltsortes und den damit verbundenen Möglichkeiten einer Gestaltung von Freizeitaktivitäten in einem Maße ein, die eine Einordnung des Hausnotrufdienstes als Rufbereitschaft nicht mehr zulässt.

Quelle: Beck-Verlag / Beck-Online / FD-ArbR 2022, 449727

Volltext: https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/6-azr-251-21/

und zu dieser Thematik vorhergehend das BAG

BAG, Urteil vom 25.03.2021 – 6 AZR 264/20

Hintergrunddienst als vergütungsrechtliche Rufbereitschaft / Bereitschaftsdienst vs. („nur“) Rufbereitschaft

1. Der Begriff der Rufbereitschaft wird in § 7 VI 1 TV-Ärzte/TdL vergütungsrechtlich abschließend definiert. Er setzt nur voraus, dass der Arbeitnehmer nach der Anordnung des Arbeitgebers seinen Aufenthaltsort im Rahmen der durch den Zweck der Rufbereitschaft vorgegebenen Grenzen frei wählen kann.

2. Beim Bereitschaftsdienst legt demgegenüber der Arbeitgeber den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers fest. Er ist seinem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung, wobei der Arbeitnehmer verpflichtet ist, bei Bedarf sofort tätig zu werden.

3. Auch bei der Rufbereitschaft muss der Arbeitnehmer in der Lage sein, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können. Die aus diesem Zweck der Rufbereitschaft folgenden mittelbaren Einschränkungen des Aufenthaltsortes des Arbeitnehmers sind ein Wesensmerkmal dieses Dienstes und stehen dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht entgegen.

4. Für die Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst ist allein der Umfang der aufenthaltsbeschränkenden Anordnungen des Arbeitgebers entscheidend. Diese Anordnungen können auch konkludent erfolgen, indem der Arbeitgeber die Vorgaben zum Aufenthaltsort durch genaue Vorgaben zum Faktor Zeit für die Arbeitsaufnahme ersetzt und dabei die Zeitspanne bis zur Arbeitsaufnahme so kurz bemisst, dass sie – was jeweils im Einzelfall zu entscheiden ist – einer Aufenthaltsbeschränkung gleichkommt. Dann liegt Bereitschaftsdienst vor.

5. Begibt sich der Arbeitnehmer nach Abruf nicht zum Arbeitsort, sondern erbringt seine Arbeitsleistung telefonisch sofort bei Abruf an seinem Aufenthaltsort, steht dies dem Vorliegen von Rufbereitschaft nicht entgegen.

6. Rufbereitschaft darf der Arbeitgeber nach § 7 VI 2 TV-Ärzte/TdL nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich im Ausnahmefall Arbeit anfällt. Das ist der Fall, wenn Zeiten ohne Arbeitsanfall die Regel sind. Dabei sind im Rahmen einer wertenden Gesamtschau neben dem Arbeitsleistungsanteil auch der Anteil der Rufbereitschaften mit Inanspruchnahmen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Rufbereitschaften sowie die Häufigkeit und die Dauer der einzelnen Inanspruchnahmen während der jeweiligen Rufbereitschaften zu berücksichtigen.

Quelle: NZA 2021, 1048


LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.02.2022, 5 Sa 872/21

Urlaubsanspruch bei mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit; Befristung/Erlöschen des Urlaubsanspruchs, Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers

Bleibt ein Arbeitnehmer auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt, ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen.  Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal (im Anschluss an BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547, Rn. 19 – 27).


LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.02.2022, 8 Sa 241/21

Vereinbarung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses bei fehlender Absprache zum Stundenumfang

1. Wenn keine Teilzeitvereinbarung getroffen wird, ist im Regelfall davon auszugehen, dass im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis vereinbart sein soll (BAG, Urt. v. 21.06.2011 – 9 AZR 236/10 -, BeckRS 2011, 76878; Urt. v. 08.10.2008 – 5 AZR 715/07, Rn. 19, BeckRS 2009, 50370).

2. Gelingt einem Arbeitnehmer der Beweis nicht, die zugewiesene Arbeit geleistet zu haben, muss er das Risiko des Prozessverlustes tragen, wenn sich die sein Begehren tragenden Tatsachen nicht feststellen lassen (BAG, Urt. v. 18.04.2012 – 5 AZR 248/11 – Rn. 13 – 15, BeckRS 2012, 70850; u.a.)

Hinweis (Stand 28.08.2022): Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem AZ 5 AZN 317/22

Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2022, 18361


LAG Baden-Württemberg vom 2.2.2022, 19 Sa 63/21

Dienstplan – Bereitschaftsdienst – Rufbereitschaft – Zuschlag – TV-Ärzte/VKA

Nach § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung wird die Lage der Dienste der Ärztinnen und Ärzte in einem Dienstplan geregelt, der spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes aufgestellt wird. Wird die vorstehende Frist nicht eingehalten, so erhöht sich die Bewertung des Bereitschaftsdienstes bzw. wird zusätzlich zum Rufbereitschaftsentgelt ein Zuschlag auf jeden Dienst gezahlt.

Diese Rechtsfolge tritt nicht bereits dann ein, wenn die Dienste entsprechend dem rechtzeitig bekanntgegebenen Dienstplan geleistet werden, aber ein betriebliches Mitbestimmungsverfahren zuvor nicht abgeschlossen wurde und der Betriebsrat bzw. Personalrat auch nicht nachträglich dem Dienstplan zugestimmt hat. Das folgt insbesondere aus dem Sinn und Zweck von § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA, den betroffenen Arbeitskräften Planungssicherheit für ihre außerdienstlichen Aktivitäten zu gewährleisten. Die Zuschlagspflicht ist keine Sanktion für mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers.

Quelle → VOLLTEXT / LAG BW / 02.02.2022 / 19 Sa 63/21


LArbG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.1.2022, 9 Sa 66/21

Vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt für Jahressonderzahlung – AGB-Kontrolle – Vertragsauslegung – betriebliche Übung – konkludente Vertragsänderung durch wiederholte Zahlung von Jahressonderzahlungen oder Gratifikationen

Ein in AGB vereinbarter vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur dann wirksam, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder über Sonderzuwendungen nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden (im Anschluss an BAG, Urteil vom 14. September 2011 – 10 AZR 526/10, Rn. 38 – 40; anders LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2021 – 11 Sa 33/21, S. 17 der Gründe).


LAG Köln, Urteil vom 23.06.2021 – 11 Sa 876/20

Wirksamkeit der Änderungskündigung

Die Änderungskündigung ist ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen hinzukommen. Das Änderungsangebot muss so konkret gefasst sein, dass es der Arbeitnehmer ohne Weiteres annehmen kann. Ihm muss klar sein, welche Vertragsbedingungen künftig gelten sollen. Nur so kann er eine abgewogene Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots treffen. Er muss von Gesetzes wegen innerhalb der kurzen Frist des § 2 Satz 2 KSchG auf das Vertragsangebot des Arbeitgebers reagieren und sich entscheiden, ob er es ablehnt, ob er es mit oder ohne Vorbehalt annimmt. Schon im Interesse der Rechtssicherheit muss deshalb das Änderungsangebot zweifelsfrei klarstellen, zu welchen Vertragsbedingungen das Arbeitsverhältnis künftig fortbestehen soll. Unklarheiten gehen zulasten des Arbeitgebers. Allerdings genügt ein Änderungsangebot dem Bestimmtheitsgebot auch dann, wenn sich ihm nach Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zweifelsfrei entnehmen lässt, welche Arbeitsbedingungen künftig gelten sollen. Dabei können und müssen auch außerhalb des Kündigungsschreibens liegende, zur Erforschung seines Inhalts geeignete Umstände herangezogen und berücksichtigt werden. Da sich das Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht nur auf die Kündigungserklärung als solche, sondern auch auf das Änderungsangebot erstreckt, ist nach der Ermittlung des vom Erklärenden Gewollten aber zu prüfen, ob dieser Wille in der Urkunde noch einen hinreichenden Ausdruck gefunden hat. Bei formbedürftigen Erklärungen ist nur der Wille beachtlich, der unter Wahrung der vorgeschriebenen Form erklärt worden ist (BAG, Urt. v. 21.05.2019 – 2 AZR 26/19 – m. w. N.).

Die Beklagte hat in ihrem Änderungsangebot nicht ausdrücklich erläutert, wie sich die gesonderte Vergütung für die Teilnahme am Rufbereitschaftsdienst der inneren Medizin gestaltet. Das Änderungsangebot enthält auch keinen Hinweis darauf, dass die Vergütung nach hauseigenen Regelungen erfolgt. Erst Recht ist dem Angebot nicht zu entnehmen, dass eine Anspruchskonkurrenz zwischen dem praktizierten betrieblichen Vergütungssystem, welches auf einer Pauschale aufbaut, die unstreitig nicht mit den Vergütungsregelungen der AVR Caritas übereinstimmt, sowie den Bestimmungen der AVR Caritas im Sinne des Günstigkeitsprinzips aufgelöst wird. Selbst wenn die Klägerin dem Grund nach Kenntnis von der hauseigenen Pauschalregelung hatte, so ist damit noch nicht gesagt, dass ihr die im Jahr 2019 aktuellen Pauschalsätze bekannt waren. Dies ist umso mehr fraglich, da die Auskünfte der Beklagten zur Höhe der Pauschalvergütung in den Schreiben 26.03.2020 und 08.04.2020 widersprüchlich waren.

Zusammenfassend ist daher feststellen, dass das Änderungsangebot mit erheblichen Zweifeln behaftet war und dem Bestimmtheitsgebot nicht genügte.


BAG, Urteil vom 08.12.2021, 10 AZR 641/19 

Ersatzruhetage für auf Werktage fallende Feiertage

Werden Arbeitnehmer an einem auf einen Werktag fallenden Feiertag beschäftigt, müssen sie nach § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbZG einen Ersatzruhetag haben. Ein Ersatzruhetag in diesem Sinn ist ein Werktag, an dem der Arbeitnehmer von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr keine Arbeitsleistung erbringt. Ein davon abweichender individueller Zeitraum mit einer Dauer von 24 Stunden genügt nicht.

Quelle → BAG / URTEIL / 08.12.2021 / 10 AZR 641/19


BFH, Urteil vom 03.04.2019, VI R 46/17

Häusliches Arbeitszimmer muss für die Tätigkeit nicht erforderlich sein

Ein Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer setzt nicht voraussetzt, dass das Arbeitszimmer für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Wird der Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt, genügt das für den Abzug.

Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer können grundsätzlich nicht als Werbungskosten abgezogen werden (§ 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes). Anders ist dies, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall können Aufwendungen bis zu 1.250 € im Rahmen der Einkommensteuer berücksichtigt werden. Bildet das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung, können die Aufwendungen der Höhe nach unbeschränkt abgezogen werden.

Das Gesetz regelt unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer abziehbar sind. Insoweit typisiert das Gesetz die Erforderlichkeit der beruflichen oder betrieblichen Nutzung des Arbeitszimmers für die Fälle, dass kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten Betätigung bildet, ohne den Begriff der Erforderlichkeit zu einer zu überprüfenden Voraussetzung für den Abzug zu machen. Ob der Steuerpflichtige die Arbeiten, für die ihm kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, leicht an einem anderen Ort in der Wohnung – am Küchentisch, im Esszimmer oder in einem anderen Raum – hätte erledigen können, ist deshalb unerheblich.

Quelle: Pressemitteilung des BFH vom 24. März 2022 – Nummer 13/22


LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.2021, 12 Sa 600/21

Betriebsbedingte Kündigung mit Auslandsbezug – Massenentlassung – Betriebsübergang – Sektorzulage

1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.

2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.

3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden.

4. Zur Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG (hier verneint).

5. Die Übermittlung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit per Telefax genügt der Schriftform des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.

6. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 – 14 Sa 1225/20, juris).

7. Zur Zahlung einer sog. Sektorzulage aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, deren Höhe und deren prozessualer Geltendmachung im Falle eines streitigen Betriebsübergangs.


LAG Berlin-Brandenburg vom 14.10.2021, 5 Sa 707/21

Arbeitszeitverringerung – Organisationskonzept – Rechtsmissbrauch

1. Es ist rechtsmissbräuchlich, den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit in einem Umfang von nicht einmal 10 % allein deshalb geltend zu machen, damit zukünftig die Einteilung in eine bestimmte Schicht nicht mehr erfolgt.

2. Zu einer Arbeitszeitverringerung entgegenstehenden betrieblichen Gründen bei fehlenden Ersatzkapazitäten.


BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 2 AZR 356/21

Beweislastregeln bei einer Kündigung wegen Verleumdung

Der Arbeitgeber trägt auch dann die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund, wenn das betreffende Verhalten des Arbeitnehmers den Tatbestand der üblen Nachrede iSv. § 186 StGB erfüllen würde.


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.01.2022 – 10 Sa 1286/21

Bei der Eingruppierung von Lehrerinnen in ein Eingangsamt kommt es auf ihre gesundheitliche Eignung nicht an.

Quelle → VOLLTEXT / LAG BerlinBrandenburg / 10 Sa 1286/21


LAG Hessen, Urteil vom 22.10.2021, 10 Sa 104/21

Entgeltansprüche aus beendetem Arbeitsverhältnis / Dokumentation der Arbeitszeit / Darlegungslast des AN und Beweiserleichterungen?

Aus der in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 [CCOO] – NZA 2019, 683) aufgestellten Verpflichtung, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und transparentes System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, folgen zurzeit keine Beweiserleichterungen in einem Überstundenprozess gegen einen privaten Arbeitgeber. Die RL 2003/88/EG hat keine unmittelbare horizontale Wirkung, einer unionsrechtskonformen Auslegung steht die Wortlautgrenze des § 16 Abs. 2 ArbZG entgegen.

Aus § 16 Abs. 2 ArbZG kann der Arbeitnehmer – anders als bei § 21a Abs. 7 ArbZG – keinen allgemeinen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber zur Dokumentation seiner Arbeitszeit herleiten.

Der Arbeitnehmer kommt seiner Darlegungslast nach, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (vgl. BAG 26. Juni 2019 – 5 AZR 452/18).

Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2021, 51919, beck-online


LAG Hessen, Urteil vom 10.09.2021 – 10 Sa 347/21

Unterschlagung geringfügiger Geldbeträge kann zur außerordentlichen Kündigung führen

1. Die Unterschlagung geringwertiger Beträge, hier 2,75 Euro, kann bei einem Busfahrer eine außerordentliche Kündigung bedingen, wenn er zuvor einschlägig abgemahnt worden ist.

2. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich mittels sog. „Ehrlichkeitskontrollen“ das normale Arbeitsverhalten der Mitarbeiter kontrollieren. An ein Beweisverwertungsverbot gestützt auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers könnte man allenfalls dann denken, wenn zusätzliche Umstände vorliegen, z.B. indem der Arbeitgeber eine besondere „Verführungssituation“ geschaffen hat.

3. Die in § 170 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorgesehene elektronischen Form für die Antragstellung beim Integrationsamt ist so auszulegen, dass eine E-Mail (Textform nach § 126b BGB) ausreichend ist.


BAG, Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21

Ein Arbeitgeber darf Abschluss eines Aufhebungsvertrages an sofortige Annahme knüpfen

Ein Aufhebungsvertrag kann unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Ob das der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann.


Hessisches LAG, Beschluss vom 01.02.2022, 19 Ta 507/21

Kündigungs­schutz­klage eines Geschäftsführers vor dem Arbeitsgericht, wenn … 

Wenn ein Geschäftsführer als Arbeitnehmer anzusehen ist, steht ihm für seine Kündigungsschutzklage der Weg zu den Arbeitsgerichten zur Verfügung.

LARBG BADEN-WÜRTTEMBERG, URTEIL VOM 22.2.2022, 11 SA 46/21

In der Regel kein Anspruch auf Weihnachtsgeld während andauernder Arbeitsunfähigkeit

Sonderzahlung – Weihnachtsgeld – betriebliche Übung – Synallagma – durchgehende Arbeitsunfähigkeit

1. Will der Arbeitgeber mit einer Sonderzahlung andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben, weil diese ja vom gesetzlich geregelten Synallagma abweicht (Stichwort: Positive Bestätigung).

2. Teilt der Arbeitgeber nicht mit, unter welchen Voraussetzungen die Sonderzahlung (Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld) geleistet wird, ist anzunehmen, dass es sich um eine im Synallagma stehende Leistung handelt.

Das führt jedoch dazu, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht berücksichtigt werden können, wenn diesbezüglich eine Zurechnung zum Arbeitgeberrisiko durch Gesetz oder Kollektivvereinbarung nicht erfolgt ist.

Quelle: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=37850


LAG Hamm, Urteil vom 10.01.2022 – 14 Sa 938/21

(Hier) keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage

Im Falle eigener Unkenntnis von der Notwendigkeit, innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage zu erheben, kommt eine nachträgliche Zulassung nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer sich an eine zur Erteilung von Auskünften geeignete, zuverlässige Stelle wendet und von dort eine für die Fristversäumnis ursächliche unrichtige Auskunft erhält …

Ein Betriebsrat ist nach allgemeiner Auffassung keine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle, so dass dessen unrichtige Auskunft die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht rechtfertigen kann …

Umstritten ist, ob eine Ausnahme besteht, wenn es sich um einen Großbetrieb handelt und der Betriebsrat eine Fachkompetenz aufgrund bestimmter Umstände kundtut …

Mehr (auch zum Meinungsstreit) unter → LAG HAMM / 14 Sa 938/21


LAG MV, Urteil vom 19.01.2022, 5 TaBV 8/21

Eingruppierung öffentlicher Dienst – Haustechniker – hochwertige Arbeiten – besonders hochwertige Arbeiten

1. Die Tätigkeit eines Haustechnikers in einem Museum, der sicherheitstechnische Anlagen betreut, kann erhöhte Anforderungen an das Überlegungsvermögen und an das fachliche Geschick stellen, sodass es sich um hochwertige Arbeiten im Sinne der Entgeltgruppe 6 Teil A, Abschnitt I, Ziffer 2 der Entgeltordnung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-V) handelt.

2. Besonders hochwertige Arbeiten im tariflichen Sinne erbringt ein Haustechniker regelmäßig erst dann, wenn die Fachkenntnisse des einschlägigen Ausbildungsberufs für die Tätigkeiten nicht mehr ausreichen, sondern weitergehende, insbesondere fachübergreifende, Kenntnisse nötig sind.

Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 19.01.2022 / 5 TaBV 8/21


LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022 – 4 Sa 315/21

Den Absender einer E-Mail trifft gemäß § 130 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen ist. Ihm kommt nicht dadurch die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zugute, dass er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhält. 

Aus den Gründen:

Zur Darlegungs- und Beweislast des Zugangs einer E-Mail werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Einerseits wird vertreten, dass dem Absender einer E-Mail der Beweis des ersten Anscheins dahingehend zur Seite stehe, dass die von ihm versandte E-Mail beim Empfänger eingegangen ist, wenn nicht eine Rücksendung als unzustellbar eingegangen ist. Dies gelte auch dann, wenn die Nachricht möglicherweise in einen Spamfilter gelangt ist. Eingegangen sei eine E-Mail beim Empfänger einer Willenserklärung, wenn sie auf dem Server des Empfängers oder seines Providers abrufbar gespeichert ist (AG Frankfurt, Urteil vom 23.10.2008 – 30 C 730/08-25 – MMR 2009, 507507).

Andererseits wird vertreten, dass der Zugang der E-Mail gemäß § 130 BGB vom Versender darzulegen und zu beweisen sei. Die Absendung der E-Mail begründe keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. August 2018 – 2 Sa 403/18 – Rn.39, juris; Arnold in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 130 BGB, Rn.33). Dies gelte auch für ein Sendeprotokoll (MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 130 Rn.47).

Die Kammer schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 130 BGB muss die abgegebene Willenserklärung unter Abwesenden dem Empfänger zugehen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung der Fall, wenn die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gerät, dass dieser nach allgemeinen Umständen von ihr Kenntnis erlangen kann. Nach dem Versenden einer E-Mail wird die Nachricht auf einem Server eingehen. Dies ist jedoch nicht gewiss. Wie auch bei einfacher Post ist es technisch möglich, dass die Nachricht nicht ankommt. Das Risiko kann nicht dem Empfänger aufgebürdet werden. Der Versender wählt die Art der Übermittlung der Willenserklärung und damit das Risiko, dass die Nachricht nicht ankommt. Zudem hat der Versender die Möglichkeit, vorzubeugen. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mail-Programms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 – I ZR 64/13 – Rn.11, juris).


LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.01.2022, 1 Sa 159/21

Anscheinsbeweis – Einwurf-Einschreiben – Kündigung – Zugang

Wird ein Küdigungseinschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger (wie BGH v. 27.9.2016 – II ZR 299/15 – ; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 12.03.2019 – 2 Sa 139/18 – ; LAG Baden-Württemberg v. 28.07.2021 – 4 Sa 68/20; gegen: LAG Rheinland-Pfalz v. 17.09.2019 – 5 Sa 18/13 – ; ArbG Düsseldorf v. 22.02.2019 – 14 Ca 465/19).


BAG, Urteil vom 02.12.2021 – 3 AZR 254/21

Hinterbliebenenversorgung und die Mindestehedauer

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann der Arbeitgeber eine zugesagte Hinterbliebenenversorgung ausschließen, wenn die Ehe bis zum Versterben des Versorgungsberechtigten nicht mindestens zwölf Monate gedauert hat und die Hinterbliebene die Möglichkeit hat, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Berechtigte aufgrund eines erst nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder einer erst später eingetretenen Krankheit gestorben ist.


BAG, Urteil vom 25.11.2021 – 8 AZR 313/20

Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der/die erfolglose schwerbehinderte Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde.

Zu diesen Vorschriften gehört § 165 Satz 1 SGB IX**, wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze melden. Um dieser Bestimmung zu genügen, reicht allein die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit nicht aus.


LaG Niedersachsen, Urteil vom 09.11.2021, 10 Sa 15/21

Kündigung – Obliegenheiten des Arbeitnehmers – unverzügliche Meldung als „arbeitssuchend“

Arbeitnehmer sind zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten und daneben verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, § 38 Abs. 1 SGB III. Auch wenn es sich dabei zunächst um eine rein sozialversicherungsrechtliche Meldeobliegenheit handelt, hat die Meldepflicht auch im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug Beachtung zu finden, weil dem Arbeitnehmer arbeitsrechtlich das zugemutet werden kann, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt.

Das Unterlassen der Meldung des Arbeitnehmers bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend erfüllt das Merkmal des böswilligen Unterlassens im Sinne von § 11 Ziff. 2 KSchG.

Der Arbeitnehmer genügt seinen Obliegenheiten aus § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG daher nur, wenn er sich arbeitslos meldet und sich mit den ihm von der Agentur für Arbeit ernsthaft befasst. Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus Art. 12 GG begründen, weil die Arbeitslosmeldung nicht dazu zwingt, eine nachgewiesene Arbeitsmöglichkeit auch zu nutzen.

Wer vorsätzlich ohne ausreichenden Grund verhindert, dass ihm Arbeit angeboten wird, unterlässt es im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 böswillig, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen; Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich.


BAG, Urteil vom 22.09.2021 – 7 AZR 300/20

Befristung, Ärzte in der Weiterbildung, Mindestbefristungsdauer

Ein Vertrag iSv. § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG kann auch dann für einen kürzeren Zeitraum als die Dauer der Weiterbildungsbefugnis des weiterbildenden Arztes geschlossen werden, wenn zuvor zwischen den Parteien kein auf die Dauer der Weiterbildungsbefugnis befristeter Arbeitsvertrag bestanden hat, sofern bei Vertragsschluss absehbar ist, dass die Weiterbildung innerhalb der in Aussicht genommenen Vertragslaufzeit beendet werden kann.

Quelle → VOLLTEXT / BAG / 22.9.2021 – 7 AZR 300/20


BFH, Urteil vom 29.04.2021, VI R 31/18

Bewertung von Arbeitslohn anlässlich von Betriebsveranstaltungen

1. Bei der Bewertung von Arbeitslohn anlässlich einer Betriebsveranstaltung sind alle mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Aufwendungen des Arbeitgebers anzusetzen, ungeachtet dessen, ob sie beim Arbeitnehmer einen Vorteil begründen können.

2. Die danach zu berücksichtigenden Aufwendungen (Gesamtkosten) des Arbeitgebers sind zu gleichen Teilen auf die bei der Betriebsveranstaltung anwesenden Teilnehmer aufzuteilen.

Quelle → VOLLTEXT / BFH / 29. April 2021 / VI R 31/18


LAG Thüringen, Urteil vom 04.08.2021 – 4 Sa 293/19

Betriebsbedingte Kündigung – Darlegungslast – Kündigungsgrund

1. In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, kann die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen.

Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen.

Daran fehlt es, wenn die Entscheidung in ihrer Folge zu einer Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte oder sie lediglich Vorwand dafür ist, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird.

2. Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen.

Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d. h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können.


LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.05.2021 – 17 Ta (Kost) 6041/21

Bewertung eines Hilfsantrages bei Vergleichsabschluss – Gegenstandswert bei mehreren Kündigungen

1. Werden mehrere Kündigungen ausgesprochen, ist im Hinblick auf die Kündigung mit dem frühesten Beendigungstermin ein Vierteljahreseinkommen in Ansatz zu bringen.

Bei den die weiteren Kündigungen betreffenden Anträgen handelt es sich regelmäßig um Hilfsanträge. Für diese ist der Gegenstandswert nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG (juris: GKG 2004) zu erhöhen, wenn über sie entschieden wird oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt werden (so auch Streitwertkommission Nr. 21.3: Mehrere Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten) (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 15. November 2019 – 26 Ta (Kost) 6086/19Rn. 9).

2. Ein auf eine Kündigung bezogener Kündigungsschutzantrag ist dahin zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt ist, dass der Kündigungsschutzantrag gegen eine früher greifende Kündigung ohne Erfolg bleibt. Nur dies entspricht dem wohlverstandenen (Kosten-)Interesse der klagenden Partei. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur „vorsorglich“ im Verhältnis zu einer bereits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und damit auflösend bedingt für den Fall erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die andere Kündigung beendet ist (vgl. BAG 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16, Rn. 46).

3. Wird während des Rechtsstreits später eine weitere – zu einem früheren Zeitpunkt wirkende – Kündigung ausgesprochen, handelt es sich regelmäßig bei dem zuerst angekündigten Antrag der Sache nach nur noch um einen Hilfsantrag. Wegen § 40 GKG (juris: GKG 2004) ist der danach als Hilfsantrag zu wertende Ausgangsantrag gebührenrechtlich dennoch zu berücksichtigen, da es insoweit auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem der Antrag den Rechtszug eingeleitet hat, unabhängig davon, ob über ihn entschieden wird oder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, 4 GKG (GKG 2004) vorliegen. Denn zum Zeitpunkt der „Einleitung des Rechtszugs“ handelte es sich um einen Hauptantrag.

4. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine klagende Partei eine später wirkende Kündigung ganz bewusst mit einem Hauptantrag angreift.(Rn.15) Denn der Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage – und damit der Umfang der Rechtskraft eines ihr stattgebenden Urteils – kann auf die (streitige) Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt werden (vgl. BAG 22. November 2012 – 2 AZR 732/11, Rn. 20).

5. Auch wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem spätesten Beendigungstermin einer der Kündigungen einigen, kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind regelmäßig alle Beendigungstatbestände. Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des „Gesamtpakets“ aus, in das meist sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG (juris: GKG 2004) mit geregelt werden (vgl. LAG Baden-Württemberg 2. September 2016 – 5 Ta 101/16, Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg 19. Mai 2021 – 17 Ta (Kost) 6041/21).

6. Anders kann ausnahmsweise zu entscheiden sein, wenn eine von mehreren Kündigungen offensichtlich (zB als Probezeitkündigung) wirksam ist, der Arbeitgeber aber während des Prozesses „aus reiner Vorsicht“ vorsorglich noch eine weitere Kündigung nachgeschoben hat, die jedoch angesichts einer wirksamen Kündigung im Rahmen der Vergleichsverhandlungen keinen wertbildenden Faktor mehr darstellt.


LAG Thüringen, Urteil vom 28.04.2021 – 6 Sa 304/18

Höhe der Urlaubsabgeltung – unverschuldete Arbeitsversäumnis

Endet ein Arbeitsverhältnis nach längerer Zeit unverschuldeter Arbeitsversäumnis, bemisst sich die Höhe einer Urlaubsabgeltung nach dem Verdienst der letzten 13 Wochen des Arbeitsverhältnisses, für die ein Anspruch auf Vergütung bestand.

Verschuldet im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG ist eine Arbeitsversäumnis erst bei einem gröblichen Verstoß gegen Verhaltenspflichten, deren Einhaltung von jedem verständigen Menschen im eigenen Interesse, sich selbst nicht zu schädigen, erwartet werden kann.

Hinweis: Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt zum Aktenzeichen 9 AZN 442/21

Quelle → VOLLTEXT / LAG THÜRINGEN / 6 Sa 304/18

ArbG Berlin, Urteil vom 01.04.2021 – 42 Ca 16289/20

Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – so ganz ohne Arztkontakt geht es nun auch nicht

Nach § 3 Absatz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist.

Von einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1976 nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Ausstellung keine Untersuchung vorausgegangen ist und mangels Patientenbeziehung auch eine Ferndiagnose ausscheidet (BAG, Urteil vom 11. August 1976 – 5 AZR 422/75 -, BAGE 28, 144-151).

Hintergrund: Der AN hatte über ein Online-Portal ohne telefonischen oder sonstigen persönlichen Arztkontakt und mittels eines online auszufüllenden Fragebogens eine AU-Bescheinigung erhalten (ärztlich auch ausgestellt). Kostenpunkt: 14 EUR.

Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 41128 / beck-online

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2019 – 5 AZR 578/18

Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos – Freistellung in gerichtlichem Vergleich

1. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht regelmäßig die Schließung des Arbeitszeitkontos einher, ein Freizeitausgleich ist nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr möglich. Wenn nicht ausdrücklich anderes vereinbart ist, enthält die einvernehmliche Errichtung eines Arbeitszeitkontos die konkludente Abrede, dass das Konto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen ist (Rn. 15).

2. Wird ein Arbeitnehmer in einem gerichtlichen Vergleich für die Dauer der Kündigungsfrist unter Anrechnung der noch bestehenden Urlaubsansprüche freigestellt, erfüllt der Arbeitgeber damit nicht zugleich seine aus der vereinbarten Führung eines Arbeitszeitkontos folgende Pflicht zum Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos iSd. § 362 Abs. 1 BGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die eine Freistellung haben kann, muss der Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich zum Abbau des Arbeitszeitkontos von der Arbeitspflicht freistellen will. Dafür ist die bloße Freistellung nicht ausreichend (Rn. 20).

3. Ist zugunsten des Arbeitnehmers ein Saldo auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesen und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch bezahlte Freizeit oder zusätzliches Entgelt abgebaut worden, sind die Guthabenstunden streitlos gestellt und müssen nicht innerhalb von Ausschlussfristen geltend gemacht werden (Rn. 25).

(Die Randnummern beziehen sich auf die Originalentscheidung = siehe nachfolgenden LINK zum VOLLTEXT)

Quelle: BB-ONLINE BBL2020-563-4

Link zum VOLLTEXT = https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5-azr-578-18/



Es danken EURE Rechtsanwälte / Fachanwälte

für Arbeitsrecht aus Rostock –

“alles” rund um Kündigung, Kündigungsschutz, Kündigungsschutzklage, Abfindung, Abmahnung, Lohn, Urlaub und mehr !

Menü