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Arbeitsrecht in Leitsätzen – Teil 1

EuGH, Urteil vom 09.09.2021, C-107/19

Pausen mit Präsenzpflicht – Ruhezeit oder doch Arbeitszeit / zur Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG

… Art. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause, in der er, wenn nötig, binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.

Zur Abgrenzung hier aus den Urteilsgründen:

… dass unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fallen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 37).

… dass eine Bereitschaftszeit, in der ein Arbeitnehmer in Anbetracht der ihm eingeräumten sachgerechten Frist für die Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeiten seine persönlichen und sozialen Aktivitäten planen kann, a priori keine „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 ist.

Umgekehrt ist eine Bereitschaftszeit, in der die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt, grundsätzlich in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie anzusehen, da der Arbeitnehmer in diesem Fall in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen…

Quelle → VOLLTEXT / EuGH / C-107/19


LAG MV, Urteil vom 23.07.2021, 3 Sa 28/21

Anrechnung von faktorisierten Rufbereitschaftszeiten auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit

Wenn – wie vorliegend unstreitig – die Ableistung von Rufbereitschaften zum Berufsbild des betroffenen Arbeitnehmers gehört, so kann der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 106 GewO grundsätzlich im Rahmen der vereinbarten arbeitsvertraglichen Arbeitszeit auch die Ableistung von Rufbereitschaften anordnen, auch wenn dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt ist (BAG vom 25.04.2007 – 6 AZR 799/06 – juris, RdNr 16; BAG vom 16.10.2013 – 10 AZR 9/13 – juris, RdNr 23, 24; jeweils m. w. N.).

Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / Urteil vom 23.07.2021 / 3 Sa 28/21


BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 

Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.


LAG München, Urteil vom 26.08.2021 – 3 Saga 13/21

Arbeitgeber darf Rückkehr aus Home-Office anordnen

Ein Ar­beit­ge­ber, der sei­nem Ar­beit­neh­mer (hier: Gra­fi­ker) ge­stat­tet, seine Tä­tig­keit im Home-Of­fice aus­zu­üben, kann seine Wei­sung än­dern und die Rück­kehr ins Büro an­ord­nen, wenn sich spä­ter be­trieb­li­che Grün­de her­aus­stel­len, die gegen das Home-Of­fice spre­chen. Dies hat das Land­ge­richt Mün­chen in einem einst­wei­li­gen Ver­fü­gungs­ver­fah­ren ent­schie­den. Auch aus der aus­ge­lau­fe­nen Home-Of­fice-Re­ge­lung habe sich kein An­spruch auf Home-Of­fice er­ge­ben.

Quelle → Beck-Verlag / Redaktion beck-aktuell, 31. August 2021


LAG München, Urteil v. 15.07.2021 – 3 Sa 188/21

Zeugnis, Schlussformel, Verhaltens- und Leistungsbewertung, Bedauernsformel

Eine Arbeitnehmerin, deren Leistung und Verhalten im Endzeugnis mit „gut“ bewertet worden ist, hat keinen Anspruch auf Bescheinigung des Bedauerns über ihr Ausscheiden, schon gar nicht auf die Steigerung „wir bedauern sehr“.

Es besteht kein Anspruch darauf, dass (gute) Wünsche für die private Zukunft in die Schlussformel eines Endzeugnisses aufgenommen werden.

Quelle → VOLLTEXT / LAG München / 3 Sa 188/21


BAG, Urteil vom 27.04.2021, 9 AZR 262/20

Arbeitszeugnis – Beurteilung in Tabellenform oder … das Arbeitszeugnis ist kein Schulzeugnis

Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO regelmäßig nicht dadurch, dass er Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis in einer an ein Schulzeugnis angelehnten tabellarischen Darstellungsform beurteilt. Die zur Erreichung des Zeugniszwecks erforderlichen individuellen Hervorhebungen und Differenzierungen in der Beurteilung lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen.

Quelle → VOLLTEXT / BAG / 9 AZR 262/20


LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.05.2021 – 6 Sa 359/20

Wirksamkeit einer Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB zur fristlosen Kündigung kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attestes der Arbeit fernbleibt und sich Lohnfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. 

Wenn nach allgemeiner Meinung schon der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen kann, so kann es erst recht keinem Zweifel unterliegen, dass ein Arbeitnehmer, der nachgewiesenermaßen seine Krankheit nur vortäuscht, dadurch eine schwere Vertragsverletzung begeht, die je nach den Umständen des Einzelfalls eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Der Arbeitnehmer wird hier regelmäßig sogar einen vollendeten Betrug begangen haben, denn durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat er den Arbeitgeber unter Vortäuschung falscher Tatsachen dazu veranlasst, ihm unberechtigterweise Lohnfortzahlung zu gewähren (BAG 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – Rn. 32, mwN, vgl. LAG Rheinland-Pfalz 11. November 2015 -7 Sa 672/14 – Rn. 72, jeweils zitiert nach juris).

Quelle → Beck-Verlag / BeckRS 2021, 21599 / beck-online


LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.03.2021 – 5 Sa 278/20

Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung

Da eine Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Dies ist nicht gegeben, wenn die Entscheidung nur ein Vorwand dafür ist, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (vgl. BAG 20.12.2012 – 2 AZR 867/11).

Quelle → Beck-Verlag / BeckRS 2021, 21587 / beck-online


LArbG Nürnberg, Urteil v. 19.05.2021 – 4 Sa 423/20

Arbeitszeit, Sonderzahlung, Arbeitszeitkonto, Freistellung, Zeitguthaben, Fortzahlung, Minusstunden

1. Befinden sich auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden noch Minusstunden, darf der Arbeitgeber Entgelt hierfür nur kürzen bzw. zurückfordern, wenn dies arbeitsvertraglich vereinbart ist.

2. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt und haben die Parteien in einem Vergleich Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Einbringung der Minusstunden genommen. Dies geht zu Lasten des Arbeitgebers.

3. Eine Klausel im Vergleich, die besagt, dass die Freistellung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und etwaige Zeitguthaben erfolgt, ist ohne Vorliegen weiterer Anhaltspunkte dahingehend zu verstehen, dass auch eventueller Streit über den Stand des Arbeitszeitkontos beseitigt werden soll und auch Minusstunden nicht mehr geltend gemacht werden können.

Quelle → VOLLTEXT / LArbG Nürnberg / 4 Sa 423/20


LArbG München, Urteil v. 05.05.2021 – 5 Sa 938/20

Ordentliche betriebsbedingte Kündigung einer Reiseleiterin in der  Corona-Pandemie / Einführung von Kurz­ar­beit spricht ge­gen dauerhaften Weg­fall des Be­schäf­ti­gungs­be­darfs

Die gleichzeitige Einführung von Kurzarbeit im Betrieb für Mitarbeiter mit den gleichen Aufgaben spricht gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (Anschluss an BAG, 23.02.2012, 2 AZR 548/10). Da für einen Reiseleiter und Stadtführer aufgrund der Covid-Pandemie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 09.04.2020 die Prognose eines dauerhaften Rückgangs des Arbeitsvolumens nicht bestand, war die Kündigung nicht aus dringenden betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. 

Quelle → LArbG München / 05.05.2021 / 5 Sa 938/20


LAG MV, Urteil vom 27.04.2021 – 2 Sa 153/20

Außerordentliche Kündigung – Beleidigung – Bedrohung – Abmahnungserfordernis

Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen Kündigungsgründe „an sich“ dar. Der Arbeitnehmer kann sich nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 Abs. 1 GG berufen.

Im groben Maße unsachliche Angriffe, die unter anderem zur Untergrabung der Position des Vorgesetzten oder Arbeitgebers führen, muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen.

Einer Abmahnung bedarf es unter anderem dann nicht, wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.

Es kommt nicht darauf an, ob ein Straftatbestand erfüllt ist. Ausschlaggebend ist allein das Vorliegen einer Pflichtverletzung und die Frage, ob ein Arbeitgeber diese hinzunehmen hat.

Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 2 Sa 153/20


BayOLG, Beschluss vom 22.01.2020, 201 ObOwi 2474/19

Unerlaubte Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers aus Sicht des Ordnungswidrigkeitenrechts

Die Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers über 18 Monate hinaus bei demselben Entleiher stellt auch dann ordnungswidriges Verhalten des Verleihers nach §§ 1 Abs. 1b Satz 1, 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG dar, wenn der Leiharbeitnehmer eine Festhalteerklärung abgegeben hat. Diese führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b 2.HS. AÜG lediglich dazu, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer entgegen § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für die Dauer von maximal weiteren 18 Monaten (zivilrechtlich) wirksam bleibt.

Die in § 1 Abs. 1b AÜG geregelte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten greift weder in unzulässiger Weise in die Grundrechte von Verleihern nach Art. 12 Abs. 1 GG ein noch steht ihrer Wirksamkeit die Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit des Verleihers (Art. 49, 56 AEUV) entgegen.

Beruht die gleichzeitige (weitere) Überlassung mehrerer Leiharbeitnehmer an denselben Entleiher auf einem einheitlichen Tatentschluss, so liegt die Annahme von Tateinheit i. S. d. § 19 OWiG nahe. 


FG Hes­sen, Urteil vom 27.07.2021, 10 K 1597/20

Ermäßigte Besteuerung einer Abfindung im Rahmen einer Sprinterklausel

Eine zu­sätz­li­che Ab­fin­dung für die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses durch Wahr­neh­mung einer so­ge­nann­ten Sprin­ter­klau­sel ist er­mä­ßigt zu be­steu­ern.

Die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses erfolgt regelmäßig (auch) im Interesse des Arbeitgebers. Eine im Gegenzug gezahlte Abfindung ist daher in der Regel als Entschädigung ermäßigt zu besteuern.

Dies gilt grundsätzlich auch für eine (zusätzliche) Abfindung, die für die (vorzeitige) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Wahrnehmung einer sogenannten Sprinterklausel gezahlt wird. Denn in diesem Fall kann die Kündigung durch den Arbeitnehmer nicht separat, sondern nur im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses insgesamt betrachtet werden.

Hinweis: Eine Arbeitnehmerabfindung aus einem Aufhebungsvertrag wird stets nur nach der Fünftel-Regelung – und damit ermäßigt – versteuert. Nach der – rechtskräftigen – Entscheidung des FG Hessen ist dies dann auch anzuwenden auf eine Abfindung über die Sprinterklausel.


LArbG Baden-Württemberg, Urteil vom 6.3.2019, 4 Sa 73/18

Zusammenhängender Urlaub – halbe bzw. Bruchteile von Urlaubstagen

1. Der Urlaub ist gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG zusammenhängend zu gewähren. Jedenfalls ein Urlaubswunsch, der auf eine Zerstückelung und Atomisierung des Urlaubs in Kleinstraten gerichtet ist, muss nicht erfüllt werden. Eine solche Urlaubsgewährung wäre nicht geeignet, die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers zu erfüllen.

2. Das BUrlG kennt keinen Rechtsanspruch auf halbe Urlaubstage oder sonstige Bruchteile von Urlaubstagen.

3. Von obigen Grundsätzen kann für die Urlaubsansprüche, die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden.

Quelle → LArbG Baden-Württemberg / 6.3.2019 / 4 Sa 73/18


BAG, Urteil vom 09.04.2014 – 10 AZR 637/13

Beschäftigungsanspruch – Nachtdienstuntauglichkeit einer Krankenschwester – Weiterbeschäftigungsanspruch (bejaht)

Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.

Wird die Arbeitsleistung dem Arbeitgeber mit dieser Einschränkung angeboten, handelt es sich um ein ordnungsgemäßes Angebot iSd. §§ 294, 295 BGB.

Quelle → VOLLTEXT / BAG / 10 AZR 637/13


LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 04.05.2021 – 5 Sa 343/20

Betriebsbedingte Kündigung – ernsthafte und endgültige Stilllegungsabsicht – Darlegungslast bei Arbeitszeitkonto

An einem endgültigen Entschluss zur (Teil-)Betriebsstilllegung fehlt es, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in ernsthaften Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebs oder von Teilen des Betriebs steht.

Wird die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (elektronisch) erfasst und zeichnet der Arbeitgeber oder für ihn ein Vorgesetzter des Arbeitnehmers die entsprechenden Arbeitszeitnachweise ab, kann der Arbeitnehmer im Überstundenprozess der ihm obliegenden Darlegungslast für die Leistung von Überstunden schon dadurch genügen, dass er schriftsätzlich die vom Arbeitgeber abgezeichneten Arbeitsstunden und den sich ergebenden Saldo vorträgt.

Führt der Arbeitgeber für den einzelnen Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto und weist er vorbehaltlos eine bestimmte Anzahl von Guthabenstunden aus, stellt er damit den Saldo des Kontos streitlos.

Quelle → VOLLTEXT zu LAG MV / 5 Sa 343/20


Hessisches LAG, Beschluss vom 8.2.2021 – 16 TaBV 185/20

Festlegung der Betriebsöffnungszeiten ist mitbestimmungsfrei

Und darum ging es: Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsantrag des Betriebsrats, Arbeitnehmern den Zugang zum Betrieb vor 5:45 Uhr, hilfsweise 5:30 Uhr zu verwehren.

1. Der Arbeitgeber kann die wirksame Beschlussfassung des Betriebsrats mit Nichtwissen bestreiten.

2. Der Betriebsrat hat daraufhin Ladung, Tagesordnung und Beschlussfassung im Einzelnen darzulegen. Hierfür kann er eine Fotokopie der Sitzungsniederschrift über die Betriebsratssitzung vorlegen, aus der die Beschlussfassung ersichtlich ist. Er muss dies aber nicht, sondern kann auch in einem Schriftsatz einen entsprechenden Sachvortrag halten, der es dem Arbeitgeber ermöglicht, vorzutragen, welche der zuvor vorgetragenen Tatsachen er bestreiten möchte. Sodann hat das Arbeitsgericht die wirksame Beschlussfassung (gegebenenfalls im Rahmen einer Beweisaufnahme) aufzuklären.

3. Unwirksame Beschlüsse können geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig ist und die Anwesenden einstimmig beschlossen haben, über den Tagesordnungspunkt zu beraten und abzustimmen.

4. Das bloße Arbeiten im Home-Office stellt keinen Hinderungsgrund für die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung dar.

5. Über die Teilnahme an Betriebsratssitzungen per Video- und Telefonkonferenz (§ 129 BetrVG) ist vom Gremium durch Beschluss zu entscheiden. Insoweit gilt § 29 Absatz 3 BetrVG.

6. Die Festlegung der Betriebsöffnungszeiten unterfällt der nicht mitbestimmten Organisation des Betriebs durch den Arbeitgeber.

Quelle → VOLLTEXT / LAG Hessen / 16 TaBV 185/20


LAG Düsseldorf, Urteil vom 30.3.2021– 8 Sa 674/20

Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko und damit der Betriebsschließung auch in der Pandemie / Lohnanspruch und Annahmeverzug

Pandemiebedingt war der beklagte Arbeitgeber (Spielhalle) zunächst auf Grund behördlicher Allgemeinverfügung gezwungen, seinen Betrieb ab dem 16.3.2020 zu schließen. Kurze Zeit später untersagte § 3 I Nr. 6 der Coronaschutzverordnung NRW (CoronaSchVO) v. 22.3.2020 den Betrieb von Spielhallen. Bei Aufrechterhaltung des Betriebs hätte die klagende Arbeitnehmerin im Monat April 2020 insgesamt 62 Stunden gearbeitet. Das LAG Düsseldorf hat der Arbeitnehmerin die Vergütung für die ausgefallenen 62 Arbeitsstunden zugesprochen. Dies folgt aus § 615 S. 1 BGB iVm § 615 S. 3 BGB, weil die Beklagte sich im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung befand. Nach der gesetzlichen Wertung des § 615 S. 3 BGB trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko.

Quelle → Beck-Verlag / beck-online / LSK 2021, 5875


BAG, Urteil vom 31.3.2021 – 5 AZR 197/20

Überzahltes Entgelt – Verfall des Rückzahlungsanspruchs

Den Arbeitgeber trifft keine Obliegenheit, immer dann, wenn der Arbeitnehmer nach vorangegangener, sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1, 2 EFZG erneut arbeitsunfähig erkrankt, von sich aus Auskünfte über das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung einzuholen, um ggf. im Anschluss gegenüber dem Arbeitnehmer einen Rückzahlungsanspruch wegen überzahlter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall innerhalb geltender Ausschlussfristen beziffern zu können. Die Annahme einer solchen Erkundigungspflicht zur Ausfüllung des Begriffs der „Fälligkeit“ i.S.e. Ausschlussfrist ist weder nach dem Zweck der Verfallfrist geboten noch kann sie aus der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hergeleitet werden, die im Entgeltfortzahlungsprozess hinsichtlich einer behaupteten Fortsetzungserkrankung gilt.

Eine Obliegenheit des Arbeitgebers zur Wahrung einer Ausschlussfrist über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung Erkundigungen einzuholen, kann allenfalls in Betracht kommen, wenn er – neben dem Wissen um die Tatsache, dass der Arbeitnehmer nach vorangegangener sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit innerhalb der Zeiträume des § 3 I 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG erneut arbeitsunfähig erkrankt ist – Kenntnis von Umständen hat, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die neuerliche Krankheit des Arbeitnehmers auf denselben Krankheitsursachen wie eine vorausgehende Erkrankung beruht, durch die der Entgeltfortzahlungszeitraum bereits erschöpft ist.


LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.06.2021, 3 Sa 37 öD/21

Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung – Benachteiligung wegen des Geschlechts – Gendersternchen

1. Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht.

2. Ziel des Gendersternchens ist es, niemanden zu diskriminieren und die Vielfalt der Geschlechter deutlich zu machen.

3. Die Verwendung der Formulierung „schwerbehinderte Bewerber*innen“ an Stelle der Formulierung „schwerbehinderte Menschen“ stellt keine Diskriminierung wegen des Geschlechts dar.

Quelle → VOLLTEXT LAG SH / 3 Sa 37 öD/21


LAG Hamm, Urteil vom 17.5.2021 – 18 Sa 1124/20

Aufhebungsvertrag, Drohung mit Kündigung, Drohung mit Strafanzeige, Gebot fairen Verhandelns

Der Arbeitgeber verstößt nicht gegen das Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages,

wenn er einen Rechtsanwalt zu den Vertragsverhandlungen hinzuzieht,

einen Aufhebungsvertrag vorlegt, der nur sofort abgeschlossen werden kann

und dies mit der – im Streitfall nicht widerrechtlichen – Drohung verbindet, er werde eine fristlose Kündigung aussprechen und Strafanzeige erstatten.

Quelle → VOLLTEXT zu LAG Hamm / 18 Sa 1124/20


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.04.2021, 23 Sa 1629/20

Außerordentliche Kündigung – Entwendung und Verwertung geringwertigen und zur Entsorgung vorgesehenen Eigentums des Arbeitgebers – Personalratsanhörung

Der vom Arbeitnehmer getätigte Ausbau oder die Entnahme und der anschließende Verkauf von Hardware-Komponenten aus den vom Arbeitgeber zur Entsorgung bestimmten Geräten stellt einen Eingriff in die Eigentümerposition des Arbeitgebers und einen erheblichen Vertrauensbruch dar und ist als schwerwiegende und schuldhafte Pflichtverletzung an sich geeignet eine außerordentliche Kündigung zu begründen.

Auch unter Berücksichtigung der Geringwertigkeit solcher Hardware-Komponenten, die zur Entsorgung freigegeben sind, hat der Arbeitnehmer, um sich rechtmäßig zu verhalten, vom Arbeitgeber die Erlaubnis einzuholen, einzelne Komponenten auszubauen und für sich selbst zu verwerten.

In einem solchen Fall ist auch eine Abmahnung entbehrlich, da in einem so schwerwiegenden Fall eines Eigentumsdelikts und der damit verbundenen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses nach objektivem Maßstab und für den Arbeitnehmer erkennbar eine Hinnahme dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber ausgeschlossen ist.

Quelle → VOLLTEXT LAG BB / 23 Sa 1629/20


LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v0m 09.11.2020, L 17 U 487/19

Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz im Homeoffice – eine sozialrechtliche Fragestellung

Steht ein Arbeitnehmer, der morgens auf dem Weg von seinen privaten Wohnräumen zur (erstmaligen) Arbeitsaufnahme in seinem Homeoffice auf der innerhäusigen Treppe verunglückt, gemäß § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII (Betriebsweg) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung?

Das LSG NRW kommt zur Entscheidung, dass hier kein Unfallschutz auf dem Weg ins Homeoffice bestehen würde.

Das Urteil ist aber derzeit (Stand: 02.07.2021) noch nicht rechtskräftig, weil beim BSG anhängig unter dem dortigen Aktenzeichen B 2 U 4/21 R. Wir berichten, sobald eine Entscheidung bekannt wird.


LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.5.2021, 1 Sa 12/21

Ausschluss der ordentlichen Kündigung – AGB-Kontrolle – Weiterbildung zum Facharzt / (zu lange) Kündigungssperrfrist

Eine Vertragsklausel, wonach das zum Zwecke der Weiterbildung abgeschlossene Arbeitsverhältnis eines in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen approbierten Arztes nach Ablauf der Probezeit erst nach 42 Monaten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses ordentlich gekündigt werden kann, benachteiligt den in der Weiterbildung befindlichen Arzt entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.


LAG NÜRNBERG, URTEIL V. 21.01.2021, 4 SA 217/20

Klageverzichtsprämie ist zweckwidrig und unwirksam

Die Verknüpfung der Zahlung eines Teils der Sozialplanabfindung mit einem Verzicht auf die Kündigungsschutzklage (sog. Klageverzichtsprämie) ist zweckwidrig und daher unwirksam. Dies gilt auch, wenn die Klageverzichtsprämie in einer eigenen Betriebsvereinbarung geregelt, die Prämie aber aus dem Sozialplanvolumen finanziert ist. In einem solchen Fall können Sozialplan und Betriebsvereinbarung als Einheit zu betrachten sein mit der Folge, dass nicht die Betriebsvereinbarung insgesamt unwirksam ist, sondern die Klageverzichtsprämie die im Sozialplan vorgesehene Abfindung erhöht ggf. unter Berücksichtigung etwaiger Kappungsgrenzen.

Schlagworte → Abfindung, Schadensersatz, Sozialplan, Betriebsvereinbarung, Betriebsrat, Interessenausgleich, Einigungsstelle, Sozialplanabfindung, Altersdiskriminierung

Quelle → LAG Nürnberg zur Klageverzichtsprämie


LAG KÖLN, URTEIL VOM 01.04.2021, 8 SA 798/20

Fristlose Kündigung wegen Küssens gegen den Willen der Kollegin

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (st. Rspr., vgl. etwa BAG 13.12.2018 -2 AZR 370/18-mwN).

Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (vgl. etwa BAG 06.08.1987-2 AZR 226/87-mwN), hier also die Beklagte.

Nach diesen Grundsätzen liegt hier ein wichtiger Grund für die ausgesprochene Kündigung vor. Dies hat das Arbeitsgericht zu Recht unter zutreffender Würdigung des gesamten Sachverhalts, insbesondere des Ergebnisses der Beweisaufnahme festgestellt. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Entscheidung. Das Berufungsgericht schließt sich vollinhaltlich der überzeugenden Begründung des Arbeitsgerichts an.

Wer auf einer dienstlich veranlassten Reise eine Arbeitskollegin gegen ihren Willen zu küssen versucht und küsst, verletzt – unabhängig von der Strafbarkeit der Tat wegen sexueller Belästigung – seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Absatz 2 BGB), in erheblicher Weise. Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Der Kläger hat seine Kollegin, die Zeugin … auf dem Teamevent … gegen deren Willen zu küssen versucht und geküsst und damit eine so schwere Pflichtverletzung begangen, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Kläger selbst erkennbar – ausgeschlossen ist.

Quelle → LAG Köln 8 Sa 798/20 Volltext


LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.04.2021 – 2 SA 300/20

Kündigungsschutz vor Beginn einer Elternzeit

Wird die Elternzeit gemäß § 16 I 6 BEEG i.V.m. § 15 II BEEG auf mehrere Zeitabschnitte verteilt, findet der vorwirkende Kündigungsschutz des § 18 I 2 Nrn. 1, 2 BEEG für jeden dieser Zeitabschnitte Anwendung. 


BAG, Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 283/20

Im Arbeitsvertrag können betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen nicht wirksam vereinbart werden

Durch eine vertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge werden betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen nicht wirksam für das Arbeitsverhältnis vereinbart. Die Arbeitsvertragsparteien haben mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht die Kompetenz, betriebsverfassungsrechtliche Regelungen zu vereinbaren. Die Bezugnahmeabrede ist mangels Regelungskompetenz nach § 134 BGB insoweit nichtig. Die in der vertraglichen Vereinbarung enthaltene Verweisung auf die tariflichen Inhaltsnormen wird von der Teilnichtigkeit grundsätzlich nicht erfasst.


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.03.2021 – 4 Sa 1243/20

Auslegung als Kündigungsschutzklage / Änderungskündigung und vorbehaltlose Ablehnung des Änderungsangebotes

1. Lehnt der Arbeitnehmer bei einer Änderungskündigung das Änderungsangebot vorbehaltlos ab, liegt eine Beendigungskündigung vor, gegen die nur Kündigungsschutzklage mit einem § 4 Satz 1 KSchG entsprechenden Antrag, erhoben werden kann.

2. Ein gegen eine Beendigungskündigung gerichteter – nicht sachgerechter – Antrag, festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung nicht wirksam ist, kann grundsätzlich sachgerecht dahingehend ausgelegt werden, dass eine Kündigungsschutzklage mit einem § 4 Satz 1 KSchG entsprechenden Antrag erhoben werden sollte.

3. Eine entsprechende Auslegung ist aber dann i.d.R. nicht möglich, wenn der Kündigungsschutzantrag i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG ausdrücklich gestellt wurde und durch das Arbeitsgericht ausdrücklich abgewiesen wurde und der Kläger die Abweisung hat rechtskräftig werden lassen. In diesem Fall würde die Auslegung de facto die aus der formellen Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils folgende materielle Rechtskraft beseitigen.

4. Das Angebot eines Homeoffice-Arbeitsplatzes kann zumindest dann keine mildere Maßnahme im Rahmen einer Änderungskündigung sein, wenn es Teil der unternehmerischen Entscheidung ist, bestimmte Arbeitsplätze in der Zentrale des Arbeitgebers zu konzentrieren und für diese Arbeitsplätze keinen Homeoffice-Arbeitsplatz anzubieten.


LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.06.2020, 1 SA 72/20

Unentschuldigtes Fehlen an einem Arbeitstag / Kündigung und Kündigungsfrist / Probezeit 

Fehlt ein Arbeitnehmer an einem einzigen Tag seines Arbeitsverhältnisses unentschuldigt, rechtfertigt das in der Regel nicht die fristlose Kündigung. Auch in diesem Fall sind eine Arbeitsaufforderung und eine Abmahnung in der Regel erforderlich. Das gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst zwei Tage bestanden hat.

Die Parteien des Arbeitsvertrags können die gesetzliche Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) nicht auf eine Woche abkürzen. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien gemäß § 622 Abs. 4 BGB zu einer Abänderung befugt sind, verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz.

Quelle → LAG SH Kündigung bei unentschuldigtem Fehlen an einem Arbeitstag


LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.03.2021, 6 Sa 284/20

Kündigung, fristlos, außerordentlich, Berufskraftfahrer, Trunkenheitsfahrt,  Wiederholungsgefahr

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 46; BAG 20.10.2016 – 6 AZR 471/15 – Rn. 30).

Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 9983


LAG München, Urteil vom 03.12.2020, 3 Sa 563/20

Dienstwagen, Sonderausstattung, Kostenübernahme durch Arbeitnehmer

Die Grenzen zulässiger Vertragsgestaltung sind überschritten, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet wird, Mehrkosten für eine von ihm gewünschte Sonderausstattung eines Dienstwagens in den ersten zwölf Monaten des 36-monatigen Leasingvertrags zu zahlen, ohne dass die Dauer der tatsächlichen Nutzung des Dienstwagens durch ihn berücksichtigt wird (in Anschluss an BAG, Urteil vom 09.09.2003 – 9 AZR 574/02).


LAG München, Beschluss vom 08.07.2020, 3 Ta 165/20

Bewilligung von PKH bei insolventem Arbeitgeber

Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber nach Erhebung der Kündigungsschutzklage involvent und das Hauptsachverfahren gem. § 240 ZPO unterbrochen geworden ist.


BAG, Beschluss vom 12.01.2021, 2 AZN 724/20

Außerordentliche Kündigung – Nachschieben von Kündigungsgründen – Kündigungserklärungsfrist – „Blanko“-Kündigung

Es ist ohne Bedeutung, ob zwischen den bei Kündigungsausspruch schon bekannten und den erst nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründen ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang besteht.

§ 626 Abs. 2 BGB bildet weder in direkter noch in entsprechender Anwendung eine Schranke für das Nachschieben von Kündigungsgründen, die bei Zugang der betreffenden außerordentlichen Kündigung bereits objektiv vorlagen, aber dem Kündigungsberechtigten seinerzeit noch nicht bekannt waren. 

Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob der Grund, auf den die Kündigung zunächst gestützt wurde, bei ihrem Zugang noch nicht verfristet war. 

Die Kündigung kann grundsätzlich sogar „blanko“ erklärt worden sein.

Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 2313

Volltext → BAG zur Blanko-Kündigung / 2 AZN 724/20


BAG, Urteil vom 26.11.2020 – 8 AZR 58/20

Arbeitsvertrag – Verfallklausel – Haftung wegen Vorsatzes

1. Eine Ausschlussklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder vorformulierten Vertragsbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, nach der ausnahmslos alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, verfallen, wenn sie nicht binnen bestimmter Fristen geltend gemacht und eingeklagt werden, erfasst grundsätzlich alle wechselseitigen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben und damit auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Vertragsverletzung und aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung.

2. Eine solche Verfallklausel ist wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB nach § 134 BGB nichtig.

3. Der Arbeitgeber als Verwender muss die Klausel unabhängig davon, ob in dem Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB zudem eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt und ob die Klausel darüber hinaus ggf. aus anderen Gründen nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam ist, nicht nach den Grundsätzen über die personale Teilunwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen.

Folgende Klausel im Arbeitsvertrag war verfahrensgegenständlich:

§ 13 Verfallfristen

Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind binnen einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Fall der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Ausschlussfrist von einem Monat einzuklagen.

Quelle → BAG zur Verfallklausel ausnahmslos aller Ansprüche


LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.3.2021 – 5 Sa 295/20

Befristeter Arbeitsvertrag – Zweckbefristung Tod des Arbeitgebers – Pflegekraft

Die Befristung des Arbeitsvertrages einer Pflegekraft, die von einem pflegebedürftigen (querschnittsgelähmten) Arbeitgeber zur eigenen Versorgung eingestellt wurde, auf den Tod des Arbeitgebers kann aus dem sachlichen Grund der Eigenart der Arbeitsleistung gerechtfertigt sein.

Quelle: beck-online / BeckRS 2021, 6949


LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.01.2021, 1 Sa 241 öD/20

Befristetes Arbeitsverhältnis – sachlicher Grund – Eigenart der Arbeitsleistung – Führungskraft – unselbständiger Annexvertrag

Die herausgehobene Position eines Arbeitnehmers im Rahmen der Organisation eines Unternehmens und die sich daraus ergebenden Befugnisse können nicht die Befristung des Arbeitsverhältnisses wegen der Eigenart der Arbeitsleistung rechtfertigen.

Quelle → LAG Schleswig vom 26.01.2021 – 1 Sa 241 öD/20


ArbG Köln, Urteil vom 15.4.2021, 8 Ca 7334/20

Covid19-Pandemie / Corona-Quarantäne / Kündigung / Kündigungsschutzklage

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen einer behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne des Arbeitnehmers zum Zwecke des Infektionsschutzes aufgrund der Covid19-Pandemie ist auch außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes regelmäßig rechtsunwirksam.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund des verzögerten Eingangs einer schriftlichen behördlichen Bestätigung der Quarantäne diese bezweifelt und den Arbeitnehmer insofern der Drucksituation aussetzt, entweder gegen die behördliche Quarantäne zu verstoßen oder aber seinen Arbeitsplatz zu verlieren.


LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.02.2021, 5 Sa 206/20

Nachtarbeitszuschlag – Zuschlagshöhe – Differenzierung – Nachtarbeit – Nachtschichtarbeit – Tarifauslegung – Kraftfahrzeuggewerbe

1. Die Festlegung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge im Manteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden im Kraftfahrzeuggewerbe Mecklenburg-Vorpommern vom 18.06.2013 in der Fassung vom 06.07.2017, der für regelmäßige Nachtarbeit mit mindestens 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen einen Zuschlag von 10 % und für unregelmäßige Nachtarbeit bei weniger als 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen einen Zuschlag von 25 % vorsieht, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Ob, in welchem Umfang und in welcher Weise besondere Belastungen bestimmter Beschäftigtengruppen kompensiert werden sollen, unterliegt der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Verbände setzen.

3. Nachtarbeit belastet die Gesundheit der Arbeitnehmer und erschwert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Tarifvertragsparteien überschreiten den ihnen zustehenden, grundrechtlich geschützten Gestaltungsspielraum nicht, wenn sie durch unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge ein 5-Tage-Schichtmodell fördern, um den Arbeitnehmern eine bessere Planbarkeit des Familienlebens und ihrer Freizeitaktivitäten zu ermöglichen.


BAG, Urteil vom 31. März 2021 – 5 AZR 292/20

Vergütung von Umkleide-, Rüst- und Wegezeiten eines Wachpolizisten

Das An- und Ablegen einer auf Weisung des Arbeitgebers während der Tätigkeit als Wachpolizist zu tragenden Uniform und persönlichen Schutzausrüstung nebst Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer die dienstlich zur Verfügung gestellten Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeiten nicht nutzt, sondern sich im privaten Bereich umkleidet und rüstet.


LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 8.5.2019, 10 Sa 52/18

Verhaltensbedingte Kündigung – Verstoß gegen Anzeigepflichten im Krankheitsfall – fortdauernde Erkrankung – Interessenabwägung

Auch bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer nach § 5 EFZG verpflichtet, dies gegenüber seinem Arbeitgeber anzuzeigen. Ein etwaiger Verstoß durch den Arbeitnehmer im Falle einer fortdauernden Erkrankung wiegt jedoch im Regelfall weniger schwer als eine fehlende oder verspätet erfolgte Anzeige bei der erstmaligen Erkrankung. Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung ist dies bei der im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.

Quelle → Volltext LAG BW 10 Sa 52/18


ArbG Hamburg, Urteil vom 24.11.2020, 25 Ca 455/19

Anspruch auf Jahressonderzahlung aus Konzernbetriebsvereinbarung – Unwirksamkeit einer Stichtagsklausel – Beginn des Laufs einer tariflichen Ausschlussfrist

Ob es sich bei einer in einer Betriebsvereinbarung zugesagten Jahressonderzahlung um Arbeitsentgelt handelt, ist durch Auslegung der entsprechenden Betriebsvereinbarung zu ermitteln, welche grundsätzlich – wie bei Gesetzen und Tarifverträgen – objektiv, ausgehend vom Wortlaut, dem Gesamtzusammenhang und der Systematik der Regelungen zu erfolgen hat.

Sofern es sich bei der zugesagten Jahressonderzahlung um Arbeitsentgelt handelt, kann der Bezug nicht unter die auflösende Bedingung des Bestehens eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag nach Ablauf des Leistungszeitraums gestellt werden.

Bestimmt eine tarifliche Ausschlussfrist, dass nach der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle beiderseitigen Ansprüche binnen zwei Wochen schriftlich geltend zu machen und binnen weiterer vier Wochen klageweise zu verfolgen sind, so bedeutet das für solche Ansprüche, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen oder beziffert werden können, dass der Lauf der Ausschlussfrist erst beginnt, wenn die Ansprüche fällig und bezifferbar geworden sind (BAG, Urteil vom 17.10.1974 – 3 AZR 4/74).

Volltext → Jahressonderzahlung als Arbeitsentgelt?


LAg Niedersachsen, Urteil vom 24.02.2021, 17 Sa 890/20

Betriebsbedingte Kündigungen – Insolvenzverfahren – Verstoß gegen Unterrichtungspflicht – Verstoß gegen Zuleitungspflicht bei Massenentlassungsanzeige

Ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Volltext → LAG Niedersachen zur Massenentlassungsanzeige


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.04.2021, 15 TaBVGa 401/21

Ausstattung Betriebsrat mit Technik für Videokonferenzen

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat einen Arbeitgeber im Wege einer einstweiligen Verfügung verurteilt, dem bestehenden Betriebsrat eine technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen, die diesem die Durchführung von Sitzungen und Beratungen in Form einer Videokonferenz ermöglicht. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, es handle sich um erforderliche Informationstechnik, die der Arbeitgeber nach § 40 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz zur Verfügung stellen müsse.

Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 08/21 vom 14.04.2021

https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1074955.php

BAG, Urteil vom 20.11.2019, 5 AZR 578/18

Arbeitszeitkonto – Freizeitausgleich – Freistellung in gerichtlichem Vergleich

Einbeziehung von Überstunden in die Freistellungsvereinbarung muss in einem Vergleich eindeutig erkennbar sein.

Volltext → BAG . Urteil vom 20.11.2019 . 5 AZR 578/18


LAG Hamm, Urteil vom 29.1.2021, 1 Sa 954/20

Unwirksamkeit einer Rückzahlungsklausel für Weiterbildung bei personenbedingter Kündigung des Arbeitnehmers

Eine Rückzahlungsklausel in einer Fortbildungsvereinbarung muss, um nicht unangemessen benachteiligend i. S. d. § 307 I BGB zu sein, deshalb u. a. vorsehen, dass die Rückzahlungsverpflichtung auch dann entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis aus nicht vom Arbeitnehmer zu vertretenden personenbedingten Gründen, die bis zum Ablauf der Bleibedauer anhalten, vom Arbeitnehmer durch Ausspruch einer Kündigung oder aufgrund einer aus diesen Gründen geschlossenen Auflösungsvereinbarung beendet wird.

Ist der Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen bis zum Ablauf der Bleibefrist nicht mehr in der Lage, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, hat er es auch nicht mehr in der Hand, den berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers zu entsprechen, die in die Fortbildung getätigten Investitionen nutzen zu können. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer trotzdem an das Arbeitsverhältnis zu binden, lässt sich nicht an seinem Interesse an einer möglichst langfristigen Nutzung der einmal getätigten Investition festmachen.

Quelle → Volltext LAG Hamm


LAG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2020, 12 SaGa 15/20

Kündigungsvorwurf und äußerungsrechtlicher Unterlassungsanspruch

Wird der gegenüber dem Arbeitnehmer erhobene Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht in der Betriebsöffentlichkeit grob übertrieben und inhaltlich falsch dargestellt – Vorwurf der Fälschung aller Kundendaten, von denen ca. 10.000 existieren, wenn „nur“ 107 Fälschungen behauptet werden – kann der Arbeitnehmer die Unterlassung genau dieser Äußerung, d.h. der Fälschung aller Kundendaten, in der Betriebsöffentlichkeit verlangen.

Quelle → Volltext LAG Düsseldorf


BSG, Urteil vom 23.02.2021, B 12 R 21/18 R

Tankgutscheine und Werbeeinnahmen statt Arbeitslohn sind beitragspflichtig – beitragspflichtiges Arbeitsentgelt – Nettolohnoptimierung – Tankgutscheine – Entgelte für die Bereitstellung von Werbeflächen

Sowohl die Tankgutscheine als auch die Werbeflächenentgelte sind beitragspflichtiges Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Hierunter fallen alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Einnahmen sind alle geldwerten Vorteile, der einem versicherten Beschäftigten in ursächlichem Zusammenhang mit seiner Beschäftigung zufließen.

Im Zuge der Vereinbarung eines Lohnverzichts traten die vertraglich als „neue Gehaltsanteile“ bezeichneten Tankgutscheine und die Werbeeinnahmen teilweise an die Stelle des ursprünglichen Bruttolohns und glichen den Verzicht teilweise aus. Sie sind damit als teilweises Surrogat für den Entgeltverzicht geleistet worden. Aus diesem Grund sind die Tankgutscheine auch nicht über § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SvEV von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt ausgenommen. Denn sie wurden nicht „zusätzlich“ zum Lohn oder Gehalt gewährt, sondern als integraler Bestandteil der vereinbarten neuen Vergütung. Als Geldsurrogat waren die auf einen bestimmten Betrag begrenzten Tankgutscheine keine Sachbezüge, die bei Unterschreitung der steuerlichen Bagatellgrenze beitragsfrei wären.

Die Werbeflächenentgelte wurden ungeachtet der Rechtsnatur ihrer vertraglichen Grundlage „im Zusammenhang“ mit der Beschäftigung erzielt. Auch sie wurden als „neue Gehaltsanteile“ im Gegenzug zum Lohnverzicht vereinbart und damit als Surrogat für den Lohnverzicht nicht „zusätzlich“ gewährt.


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.10.2020, 9 Sa 508/20

Vertragsstrafe – Arbeitsentgelt – Arbeitszeit – Transparenzgebot – unangemessene Benachteiligung – Paketzusteller

Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe in einem Arbeitsvertrag ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wenn als Vertragsstrafe das Entgelt für zwei Wochen bzw. einem Monat vorgesehen ist, aber mangels Vereinbarung einer bestimmten Arbeitszeit oder eines festen wöchentlichen oder monatlichen Entgelts nicht feststeht, welches Entgelt auf diesen Zeitraum entfällt. Bei einer solchen Regelung ist bei Vertragsabschluss nicht hinreichend klar, welcher Betrag ggf. anfällt.


LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2020, 17 Sa 1/20

Außerordentlich fristlose Kündigung – Selbstbeurlaubung – Prozessbeschäftigung

Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Dies gilt auch dann, wenn der eigenmächtige Urlaubsantritt nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer unwirksamen Kündigung (während einer Prozessbeschäftigung) erfolgt. In diesem Zusammenhang spielt es letztlich keine Rolle, ob sich bei Auslegung der Erklärungen der Parteien zur Prozessbeschäftigung ergibt, dass eine auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vereinbart wurde. Einer Abmahnung bedarf es regelmäßig nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung wirkt es sich nicht zugunsten des Arbeitnehmers aus, dass der Urlaubsantrag kurz vor Ablauf des Übertragungszeitraums gestellt wurde. Durch die Rechtsprechung des EuGH vom 6. November 2018 (- C-684/16 -) ist geklärt, dass die Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Ende des Kalenderjahres bzw. den Übertragungszeitraum die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraussetzt.


Arbeitsgericht Köln, 09.10.2013, 3 Ca 1819/13

Advent, Advent… wer hat denn hier die betriebliche Weihnachtsfeier “verpennt”…

da hat doch ein Kölner Unternehmen seine zur Weihnachtsfeier erschienenen Mitarbeiter (und auch eben nur diese) mit einem “I-Pad” beschenkt. Zweck des Ganzen war, dass sich dies im Unternehmen herumsprechen sollte und in der Zukunft doch mehr Mitarbeiter zu den Weihnachtsfeiern kommen.

Geklagt hatte nun ein Mitarbeiter, der eben nicht erschienen war. Dieser hatte gemeint, er müsse auch genauso bedacht werden, weil es sich ja schließlich um eine “Gratifikation” bzw. “Sonderleistung” handeln würde.

Die Richter des Arbeitsgerichtes Köln verweigerten dem Kläger den Anspruch auf “Gleichbehandlung”. Die Richter vertraten die Auffassung, dass es hier vollkommen legitim sei, nur die zu beschenken, die auch zur Weihnachtsfeier kommen. Im Urteil liest sich dann der schöne Satz:

“Nur der, der kommt, kommt auch in den Genuss dessen, was es dort gibt.” … und hier gab es nun eben ein I-Pad.

Und weiter liest man dann:

“Aus welchen Gründen Mitarbeiter kommen oder nicht kommen, spielt keine Rolle.”

Vielleicht ein bisschen bitter für den Kläger, dass er selber wegen Krankheit fehlte und es ihm damit nicht anders ging als denjenigen, die einfach nicht kommen wollten.


BAG, Urteil vom 20.10.2016, 6 AZR 471/15

Die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin kann die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Berufskraftfahrers auch dann rechtfertigen, wenn nicht feststeht, dass seine Fahrtüchtigkeit bei von ihm durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war.


BAG, Urteil vom 14.06.2017, 7 AZR 597/15

hier: Befristung – Arzt in der Weiterbildung – inhaltlich und zeitlich strukturierte Weiterbildung

Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) liegt ein die Befristung eines Arbeitsvertrags rechtfertigender sachlicher Grund ua. vor, wenn die Beschäftigung des Arztes der zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung zum Facharzt oder dem Erwerb einer Anerkennung für einen Schwerpunkt dient. Voraussetzung für eine Befristung nach § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG ist, dass die beabsichtigte Weiterbildung die Beschäftigung des Arztes prägt. Dabei ist nach allgemeinen befristungsrechtlichen Grundsätzen auf die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Planungen und Prognosen abzustellen, die der Arbeitgeber im Prozess anhand konkreter Tatsachen darzulegen hat. Dazu ist anzugeben, welches Weiterbildungsziel mit welchem nach der anwendbaren Weiterbildungsordnung vorgegebenen Weiterbildungsbedarf für den befristet beschäftigten Arzt angestrebt wurde, und jedenfalls grob umrissen darzustellen, welche erforderlichen Weiterbildungsinhalte in welchem zeitlichen Rahmen vermittelt werden sollten. Ein schriftlicher detaillierter Weiterbildungsplan ist ebenso wenig erforderlich wie die Aufnahme eines solchen Plans in die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien.

Die Klägerin ist Fachärztin für Innere Medizin. Im Juni 2012 schlossen die Parteien einen nach dem ÄArbVtrG für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 befristeten Arbeitsvertrag zum Erwerb der Anerkennung für den Schwerpunkt „Gastroenterologie“. Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristung zum 30. Juni 2014 geltend gemacht.

Die Klage hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts – ebenso wie zuvor beim Landesarbeitsgericht – Erfolg. Nach dem Vorbringen der Beklagten war nicht erkennbar, ob im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung die Prognose gerechtfertigt war, dass eine zeitlich und inhaltlich strukturierte Weiterbildung die Beschäftigung der Klägerin prägen würde.


EuGH, Urteil vom 21.02.2018, C-518/15

Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit

Die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringt und während deren er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb kurzer Zeit Folge zu leisten, ist als „Arbeitszeit“ anzusehen.


LAG Köln, Urteil vom 12.01.2018, 4 Sa 290/17

Erkrankung während eines Arbeitstages, Beweiswert AU-Bescheinigung

Ein Arbeitnehmer, der während eines Arbeitstages erkrankt, erhält für den gesamten Arbeitstag die Vergütung gemäß § 611 BGB und keine Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 EFZG (BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZHR 112/02 –).

Verlässt ein Arbeitnehmer nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten unter Hinweis auf eine Erkrankung seinen Arbeitsplatz, so kann dies allein den hohen Beweiswert der anschließend ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttern.


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.08.2018 – 26 Sa 1151/17

Anforderungen an die Vortragslast bei einer Mindestlohnklage

Verlangt eine klagende Partei Arbeitsvergütung für Arbeitsleistungen, hat sie darzulegen und – im Bestreitensfall – zu beweisen, dass sie Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen hat, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt. Die klagende Partei genügt ihrer Darlegungslast, indem sie vorträgt, sie habe sich zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgehalten, um Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers zu befolgen.

Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern.

Deshalb hat er im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er zugewiesen hat und ob die klagende Partei den Weisungen nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden (vgl. BAG 18. April 2012 – 5 AZR 248/11, Rn. 14).

Werden in einem Taxi sog. Verfügungszeiten, d.h. Zeiten von der Übernahme des Fahrzeugs bis zur Abgabe, technisch erfasst, ist es danach zunächst ausreichend, wenn seitens der klagenden Partei diese Zeiten angegeben werden.

Die Anforderungen an die Vortragslast des Arbeitgebers richten sich nach der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und den konkreten betrieblichen Abläufen.


BGH, Urteil vom 11.10.2018, VII ZR 298/17

Die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend den Kündigungsschutz ( §§ 1 ff. KSchG ), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ( § 3 EntgeltFG ) sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer ( § 28e SGB IV , § 41a EStG ) finden unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags Anwendung, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind, und führen nicht zur Nichtigkeit des Vertrags gemäß § 134 BGB.


LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2018, 17 Sa 562/18

Beharrliche Arbeitsverweigerung – Zuweisung von Telearbeit – fristlose Kündigung

Der Arbeitgeber ist nicht allein aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts berechtigt, dem Arbeitnehmer Telearbeit zuzuweisen.

Wenn es sich um die in Aussicht genommene Telearbeit handeln sollte, konnte die Beklagte diese dem Kläger – wie ausgeführt – nicht einseitig zuweisen. Eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung bestand für den Kläger insoweit nicht und er hatte sich deshalb auch nicht auf eine derartige Tätigkeit vorzubereiten. Die Beklagte kann mit anderen Worten nicht verlangen, dass der Kläger nach der Schließung der Betriebsstätte eine angebotene Beschäftigungsmöglichkeit auch wahrnimmt, solange er zu dieser Tätigkeit nicht aufgrund seines Arbeitsvertrags verpflichtet ist. Bis zu einer einvernehmlichen Änderung der Arbeitsbedingungen bzw. einer vertragsgemäßen Zuweisung einer neuen Tätigkeit ist der Kläger nach der Betriebsschließung nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und kann deshalb eine Arbeit auch nicht beharrlich verweigern.


Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 21.02.2019, 1 Ca 1909/18

Arbeitgeber können das Tragen von Gelnägeln aus Hygienegründen untersagen

Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht umfasst auch sonstige Maßnahmen, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen.

Greift der Arbeitgeber zu solchen sonstigen Maßnahmen, muss er die Grenzen billigen Ermessens wahren, indem er die wesentlichen Umstände des Falls abwägt und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt.

Eine sonstige Maßnahme im vorgenannten Sinne kann z.B. eine Dienstanweisung zur Gestaltung der Fingernägel bei Helferinnen und Helfern im Sozialen Dienst während der Arbeitszeit sein.

Und:

Im konkreten Fall wurde die Wirksamkeit eines Verbots von u.a. lackierten Fingernägeln und Gelnägeln bejaht wegen vorrangiger Interessen der Arbeitgeberin als Trägerin eines Altenheims am Schutz der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner.


BAG, Urteil vom 19.5.2015, 9 AZR 725/13

Kürzung des Urlaubs wegen Elternzeit

Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.

Die Vorschrift regelt die Kürzung des nach dem Ende der Elternzeit zustehenden Urlaubs, also eines bestehenden oder entstehenden Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers. Die Kürzungsmöglichkeit entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit beendet wird. Eine rückwirkende Kürzung des vor der Elternzeit erfüllten Urlaubsanspruchs und eine Rückforderung des gezahlten Urlaubsentgelts sieht § 17 Abs. 4 BEEG in diesem Fall nicht vor. Daraus wird deutlich, dass es sich bei der Verrechnungsmöglichkeit gerade nicht um ein Gestaltungsrecht mit Rückwirkung handelt, sondern um die Befugnis, bestehenden oder künftig entstehenden Urlaub zu kürzen.


LAG Nürnberg, Urteil v. 31.01.2020 – 4 Sa 179/19

Zweckbefristung des Arbeitsverhältnisses entgegen § 1 Abs. 2 HS 2 ÄArbVtrG

Vereinbaren die Vertragsparteien im Rahmen des § 1 ÄArbVtrG entgegen der Regelung in § 1 Abs. 2 HS 2 ÄArbVtrG keine kalendermäßige Befristung, sondern eine vom Bestehen der Facharztprüfung abhängige Zweckbefristung, wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet.


LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2020, 17 Sa 8/20

Außerordentlich fristlose Kündigung wegen Datenlöschung in erheblichem Umfang

Löscht ein Arbeitnehmer im Anschluss an ein Personalgespräch, in dem der Arbeitgeber den Wunsch äußerte, sich vom Arbeitnehmer trennen zu wollen, vom Server des Arbeitgebers Daten in erheblichem Umfang (hier: 7,48 GB), nachdem er sich von einer Mitarbeiterin (Einkäuferin) mit den Worten “man sieht sich immer zweimal im Leben” verabschiedet hatte, rechtfertigt dies die außerordentlich fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.


Quelle: → LAG BW 17 Sa 8/20

BAG, Urteil vom 01.12.2020 – 9 AZR 102/20

Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“

Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.

Quelle → Pressemitteilung Nr. 43 des BAG


ArbG Siegburg, Urteil vom 04.09.2019 – 3 Ca 642/19

Keine fristlose Kündigung bei Mitnahme eines kranken Kindes zur Arbeitsstätte

Eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten liegt vor, wenn eine Arbeitnehmerin ihre erkrankten und betreuungspflichtigen Kinder mit zur Arbeitsstätte nimmt; dies rechtfertigt jedoch keine fristlose Kündigung. 

 Soweit die Beklagte der Klägerin vorwirft, sie habe ihre (kranken) Kinder mit auf die Tour genommen, was unzulässig sei, mag dieses Vorgehen zwar tatsächlich aus versicherungsrechtlichen Gründen sowie durch die gegebenenfalls dabei bestehende Ansteckungsgefahr problematisch sein; ein Grund für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht dadurch jedoch nicht. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung unterstellt und die von der Klägerin behauptete Absprache außer Acht lässt, hätte die Beklagte die Klägerin durch Ausspruch einer Abmahnung auf ihre Pflichtverletzung hinweisen können, um sie zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Zudem handelt es sich um eine Nebenpflichtverletzung, die nach dem oben Ausgeführten nur durch erschwerende Umstände eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Bei der Klägerin als alleinerziehender Mutter kommt jedoch ganz im Gegensatz hierzu das entlastende Momente hinzu, dass die Mitnahme der Kinder alleine der Ermöglichung der Erfüllung ihrer Hauptpflicht diente und die Alternative hierzu ein Unterlassen der Arbeitsleistung gewesen wäre. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten einzuhaltende Kündigungsfrist nur zwei Wochen betrug. Angesichts dieser geringen Zeitspanne vermag das Gericht nicht zu erkennen, warum deren Einhaltung der Beklagten nicht zumutbar sein soll.

Ergebnis: Abmahnung bzw. ordentliche Kündigung während Probezeit wäre ausreichend (gewesen)

Quelle: NZA-RR 2019, 587


LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.10.2005 – 6 Sa 2132/03

Arbeitgeber haftet auf Schmerzensgeld (hier 24.000 EUR) aufgrund nachgewiesener Depression nach Beschimpfungen und Herabsetzungen / Frage des (hier verneinten) Mitverschuldens des Arbeitnehmers

Aus den Gründen:

Die Verletzung der Gesundheit des Klägers verpflichtet den Beklagten zu 2. zu vollem Schadenersatz (Schmerzensgeld). Denn die Auseinandersetzung der Parteien kann nicht als Bagatellschaden abgetan werden. Dem Beklagten zu 2. kommt nicht zugute die von Ehrgeiz mit erheblichen narzisstischen Anteilen geprägte Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei der Beschimpfungen und Herabsetzungen seelische Störungen mit Krankheitswert auslösen können. Denn es ist davon auszugehen, dass die seelischen Störungen des Klägers ohne vorausgegangene Herabsetzung und Beschimpfungen nicht entstanden wären. Läge beim Kläger eine besondere Schadensanlage vor, so hätte der Beklagte zu 2. auch dafür einzustehen (Gerda Müller, VersR 2003, 137, BGH Z 132, 341 = VersR 96, 990, Fedderhoff-Rink, FA 2005, 330).

Die Haftung des Beklagten zu 2. vermindert sich auch nicht durch eine sogenannte unangemessene Erlebnisverarbeitung des Klägers, die in das allgemeine Lebensrisiko des Geschädigten fallen würde (KG VersR 2002, 1429). Das Vorliegen einer solchen Persönlichkeitsstörung hat der Gutachter nämlich geprüft und verneint. Diese Feststellung überzeugt auch deswegen, weil die nachfolgenden Gerichtsverfahren – so das Unterliegen des Klägers im ersten Rechtszug – nicht zu einer erneuten Traumatisierung geführt haben.

Und zur Anspruchshöhe weiter aus den Gründen:

Für die ausgesprochenen Beleidigungen, die die 30-monatige Erkrankung des Klägers ausgelöst haben, schuldet der Beklagte zu 2. dem Kläger ein Schmerzensgeld von 24.000,00 EUR als billige Entschädigung unter Berücksichtigung aller genannten Umstände. Bei der Bemessung ist allein der Nichtvermögensschaden, den der Kläger dadurch erlitten hat, dass er 2 1/2 Jahre seines Lebens nicht seine vertragliche Tätigkeit hat ausüben können und ihm durch Depression die Lebensfreude in Beruf und Freizeit entgangen ist, auszugleichen und damit die Einschränkung in seiner Lebensführung (BAG Urteil vom 26.01.1971 – 1 AZR 304/70 – AP-Nr. 10 zu § 847 BGB, BGH Urteile vom 29.11.1994 – VI ZR 93/94 – und vom 16.01.1996 – VI ZR 109/95 – AP-Nr. 94, 99 zu § 847 BGB, Diedrichsen, VersR 2005, 433). Daneben ist auch dem Gedanken Rechnung zu tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat, da der Gesundheitsschaden durch vorsätzliches Handeln zu gefügt wurde (BGH Z 18, 149, Pauker VersR 2004, 1391).

Nach richterlichem Ermessen (§ 287 ZPO) war deshalb für jeden Monat der … verursachten Arbeitsunfähigkeit des Klägers ein Schmerzensgeld von 800,00 EUR festzusetzen und damit insgesamt von 24.000,00 EUR.


ArbG Berlin, Urteil vom 05.10.2012, 28 Ca 10243/12

Weisungsrecht des Arbeitgebers bei Arbeitszeitänderung – angemessene Ankündigungsfrist – Androhung einer Krankheit als Druckmittel

1. Hat der Arbeitgeber sein Recht auf Konkretisierung der zeitlichen Lage des Arbeitseinsatzes eines Teilzeitbeschäftigten (§ 106 Satz 1 GewO) per Dienstplan ausgeübt (hier: Einteilung zum Spätdienst), so kann er von seiner diesbezüglichen Leistungsbestimmung nicht ohne Rücksicht auf dessen Belange wieder einseitig abrücken (hier: Schichttausch zum Frühdienst).

Er hat dem Adressaten gegenüber insbesondere eine den Umständen nach angemessene Ankündigungsfrist einzuhalten.

2. Für die Bemessung dieser Frist kann im Grundsatz auf die Regelung des § 12 Abs. 2 TzBfG (vier Tage im voraus) zurückgegriffen werden.

Ist der Adressat hiernach nicht verpflichtet, der geänderten Anordnung des Arbeitgebers Folge zu leisten, so kann dieser die Weigerung auch dann nicht mit fristloser Kündigung beantworten, wenn der Adressat ihm bei Aufrechterhaltung des Änderungswunschs die “Krankschreibung” in Aussicht gestellt hat.


LAG Berlin-Brandenburg vom 28.08.2012, 19 Sa 306/12

Kündigung wegen betriebsärztlicher Sicherheitsbedenken nach Cannabiskonsum – Beteiligung des Personalrats – Weiterbeschäftigungsanspruch

1. Ist der Personalrat ordnungs- und fristgemäß mit Sachgründen gegen die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorgegangen, hat der Arbeitgeber das Einigungsverfahren gemäß §§ 80 ff. PersVG BE 2004 einzuleiten.

2. Der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens besteht nicht, wenn überwiegende und schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen.

Der regelmäßige Konsum von Cannabis beeinträchtigt die Eignung eines Arbeitnehmers, als Gleisbauer mit Sicherungsaufgaben im laufenden Straßenbahnbetrieb tätig zu werden, wenn die Betriebsärzte bei diesem entsprechend den bei dem Arbeitgeber geltenden Sicherheitsrichtlinien Sicherheitsbedenken, gesundheitliche Bedenken und eine eingeschränkte Tauglichkeit festgestellt haben. Über diese betriebsärztlichen Feststellungen und Untersuchungsergebnisse kann sich der Arbeitgeber schon deswegen nicht hinweg setzen, da er ebenfalls an die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien und die Festlegungen der Betriebsärzte gebunden ist. Jedenfalls ist der Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, im Rahmen des Fürsorgeprinzips darauf zu achten, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsaufgaben nur dann durchführt, wenn aus arbeitsmedizinischer Sicht feststeht, dass er weder für sich noch für andere Personen ein Sicherheitsrisiko darstellt.

VOLLTEXT mit Angabe des AZ unter: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE120020062


LaG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.10.2009, 2 SA 183/09

Verschwiegenheitspflicht – Geheimhaltung der Vergütungshöhe – AGB-Kontrolle

Eine Klausel, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, über seine Arbeitsvergütung auch gegenüber Arbeitskollegen Verschwiegenheit zu bewahren, ist unwirksam, da sie den Arbeitnehmer daran hindert, Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der Lohngestaltung gegenüber dem Arbeitgeber erfolgreich geltend zu machen. Darüber hinaus verstößt sie gegen Art. 9 Abs. 3 GG.

LAG Köln, Urteil vom 19.11.2009, 7 Sa 879/09

Privatnutzung von Dienst-Kfz; Leichenwagen

Der arbeitsvertragliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf Überlassung eines dienstlichen Kfz zur auch privaten Nutzung kann nicht dadurch erfüllt werden, dass ihm sein Arbeitgeber, ein Bestattungsunternehmer, einen Leichenwagen zur Verfügung stellt.


BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08

Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers in vertraulichen Gesprächen zwischen Arbeitskollegen rechtfertigen Kündigung nicht ohne weiteres

Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen durch einen Arbeitnehmer in vertraulichen Gesprächen mit Arbeitskollegen rechtfertigen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres. Der Arbeitnehmer darf regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen.

Quelle: FD-ArbR 2010, 303739, beck-online



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